Für hier oder zum Mitnehmen?
Augenblick in mir vorgeht. Müde, aber auch erleichtert lächele ich zurück.
Ich kann gar nicht sagen, ob ich es für vertretbar halte, einen Porno-schneidenden Gast zu beherbergen oder nicht. Ich habe weder Kraft noch Zeit, das zu entscheiden.
Meine Moralvorstellungen habe ich an Milena delegiert, die Schichtpläne an Magnus. Die beiden Delegierten sitzen sichtlich vergnügt am Tresen, sind zufrieden und aufgekratzt.
»Super, dass Magnus jetzt die Schichtpläne macht«, ruft Milena mir entgegen, »er will sie gleich morgen fertig haben! Was für ein Tag!«
Milena hat für mich das vorhin unterbrochene Gespräch bereits zu Ende geführt und Magnus eingestellt. Mitdenkende Mitarbeiter, das wünscht man sich.
Der Tisch, an dem Frau Melanowski saß, ist leer. Darum hat sich Milena auch schon gekümmert.
»Gut, dass Frau Melanowski schon abgeholt wurde. Habt ihr von der Polizei eine Adresse erhalten?«
»Die Polizei? Die war nicht hier.« Milena schaut Magnus an, der verwundert den Kopf schüttelt.
Frau Melanowski hat die Chance zur Flucht ergriffen und ist mitsamt den beiden Tüten verschwunden, ohne zu bezahlen. Damit reiht sie sich nahtlos in die eigenwillige Gästeschar des Cafés ein. Ich rechne damit, bald auch Tiere oder Außerirdische bewirten zu dürfen.
5.
DER ROSENTHALER PLATZ VON UNTEN
I ch trete vor den Eckeingang und überblicke die Kreuzung. Frau Melanowski ist nicht zu sehen. Weit kann sie noch nicht gekommen sein. Ich fühle mich verantwortlich und schuldig. Vielleicht ist Frau Melanowski aber auch eine abgebrühte Trickbetrügerin und täuscht ihre Verwirrung nur vor, um die Zeche zu prellen. Dieser niederträchtige Gedanke wird mit neuen Schuldgefühlen bestraft.
Ich laufe zum Eingang des U-Bahnhofs vor der Küche des Cafés, schnell gehe ich die Treppe hinunter zum Zwischengeschoss. Die riesigen, leuchtend orangefarbenen Fliesen aus den dreißiger Jahren empfangen mich. Der Gang ist prall gefüllt mit einer Menschenmenge, die sich gegen meine Laufrichtung bewegt, gerade muss eine U-Bahn angekommen sein. Der Bahnhof steht unter Denkmalschutz, wie das Haus, in dem ich versuche, ein Café zu betreiben. Das Zwischengeschoss, das die Leute, die durch die vier Eingänge kommen, bündelt, um sie zum Bahnsteig hinabzuführen, kann man auch als Fußgängerunterführung nutzen. Ich grüße aus der Ferne Mehmet, der an diesem belebten Punkt einen unterirdischen Backshop betreibt. Wir helfen uns gelegentlich mit Kleingeld aus.
Am Abgang der Haupttreppe zum Bahnsteig steht in der von der U-Bahn ausgespuckten Menschenwelle Frau Melanowski mit den beiden Tüten in der Hand. Bis 1989 war dies ein Geisterbahnhof, die Züge, die von Wedding nach Kreuzberg fuhren, hielten nicht in Mitte an. Als die Welle vorübergeschwappt ist, spricht Frau Melanowski einen der beiden Drogendealer an, die diesen strategisch wichtigen Punkt ebenso schätzen wie Mehmet. Die Elektromotoren der abfahrenden U-Bahn surren laut auf, warme Luft wird nach oben gedrückt, es riecht nach altem Maschinenöl und Mensch, der typische U-Bahn-Geruch, und doch riecht jede Linie ein klein wenig anders. Ich bin glücklich und erleichtert.
Als ich an die drei herantrete, der Lärm und die Luft sich beruhigt haben, sagt der Dealer: »Berlin, Mitte, Rosenthaler Platz. Steht doch da unten und da oben überall groß dran.« Er schüttelt den Kopf.
»Frau Melanowski!« Ich fasse sie sanft an ihrer Schulter, sie schaut mich an, als hätte sie mich noch nie gesehen. »Kommen Sie, ich bringe Sie jetzt nach Hause, in das St. Antonius.«
Da ich den Namen ihres Wohnheimes kenne, bin ich vertrauenswürdig. Ich will ihr die Tüten abnehmen, aber das lässt sie nicht zu. Wir gehen gemeinsam durch den orangefarbenen Gang nach oben.
Auf der schraffierten Sperrfläche des Mittelstreifens der Rosenthaler Straße steht ein Polizeiwagen. Parkplätze sind am Rosenthaler Platz stets zu wenige vorhanden, zwei Polizisten steigen aus dem Wagen, sie hatten offensichtlich keine große Lust, einen geeigneteren Stellplatz zu suchen. Sie lassen ein paar Autos vorbeifahren und überqueren dann den Fahrstreifen. Wir kommen fast zeitgleich vor dem Eingang des Cafés an. Ich winke, damit die beiden Beamten, ein Mann mit einem Bäuchlein und eine junge Frau mit blonden Locken, die unter der Dienstmütze trotzig hervorquellen, nicht hineingehen und ich die Angelegenheit draußen, außerhalb des konzessionierten Gastraumes, regeln kann.
»Wunderschön’n juten Tach! Taxi
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