Für hier oder zum Mitnehmen?
Bestellung: »Einmal das Wiener Schnitzel, bitte. Ist das auch wirklich richtiges Wiener?«
Der Mann ist eindeutig von der BSR , der Berliner Stadtreinigung. Das erkennt man unschwer an seiner orangefarbenen Kleidung, das Firmensignet auf seiner Brust. Er hält eine unserer Wochenkarten in der Hand und deutet auf das Wort ›Wiener‹.
Meine Shanti-Schuldgefühle sacken um ein ganzes Level ab. Milena gibt die Frage wortlos, nur mit Blicken an mich weiter. Ich bejahe, freue mich über diese Bestellung und kümmere mich persönlich um die Weitergabe an die Küche.
Dort baue ich mich vor Shanti auf, mache eine kleine Pause, in der er mich gespannt anblickt, und sage feierlich:
»Einmal das Wiener Schnitzel, bitte!«
Shanti stößt einen sehr lauten Freudenschrei aus und dreht sich mit einem großen Kochmesser in der Hand einmal um die eigene Achse. »Kommt sofort, Chef!«
Beflügelt von diesem Erfolg, betrete ich den Tresen. Shanti hatte recht. Der Tag wendet sich zum Guten.
Aurinia und Magnus kommen herein. Der Transport des vierten Hochstuhls hat viel Zeit beansprucht. Magnus begrüßt Milena freundlich und offen. Milena grüßt nicht zurück. Der Tresen, der ganze Laden überzieht sich mit einer hauchdünnen Eisschicht, es knirscht leise.
Die beiden setzen sich unbefangen neben Howard Carpendale. Magnus bestellt zwei Kaffee, Milena ignoriert ihn erneut konsequent. Unberührt davon und gut gelaunt geht er in den Tresen und produziert die Kaffees selber. Mit seinem orangefarbenen Halstuch sieht er sehr verändert aus.
Strenggenommen hat er sich an unsere Vereinbarung gehalten, Aurinia gehört nicht zu den Kollegen, aber es fehlt ihm doch das Feingefühl für die Thematik. Das will ich ihm bei nächster Gelegenheit vermitteln.
Auch wenn Magnus skandinavische Abgebrühtheit ausstrahlt, ist die Situation außerordentlich angespannt, das ist nicht gut für den Laden. Das werden auch die Gäste spüren. Ich wünsche mir eine angenehme, eine fröhliche Stimmung. Ich muss intervenieren.
Ich greife in meine Hosentasche, um den Zeitungsausschnitt zu präsentieren. Meine Finger ertasten dort ein weiteres Objekt, das ich nicht gleich zuordnen kann. Ich will es herausnehmen, um es anzuschauen, was ich nicht tue, da ich bestürzt feststelle, dass es sich um Milenas Toilettentürschlüssel handelt. Ein sogenannter Drückerschlüssel, markant, groß und klobig, so wie sich Kinder Schlüssel vorstellen, mit einem echten Schlüsselbart. Wie viele Menschen in den letzten einhundert Jahren wohl diesen alten Drückerschlüssel benutzt haben? Welche Geschichten er wohl schon erlebt hat, außer der, in der er gerade eine schwierige Rolle zu spielen beginnt? Ich hatte versäumt, ihn wieder an die Wand neben Milenas Wohnungstür zu hängen. Das ist nicht gut, das ist ganz und gar nicht gut. Diesen Schlüssel muss ich ihr heute noch unauffällig zurückgeben, bevor sie Feierabend macht. Zudem eine Gelegenheit, um doch ein paar klärende Worte sprechen zu können.
»Hier, Leute, schaut mal her. Das ist was Lustiges!«
Triumphierend lege ich den Ponyzeitungsausschnitt vor Aurinia, Magnus und Howard auf den Tresen. Milena werkelt an der Kaffeemaschine herum, ich bin mir sicher, sie hat mitbekommen, dass ich auf dem Tresen eine kleine Präsentation abhalte. Es fällt mir nicht leicht, sie direkt anzusprechen, aber wenn ich die Dynamik beeinflussen will, dann muss ich sie jetzt mit einbeziehen. »Milena, komm doch auch mal kurz und schau dir das an.«
Alle sind erstaunt, freudig erregt, auch Milena zeigt eine Reaktion: »Ach ne, wo haste denn die Seite geklaut?«
»Bei … In einem Café«, fällt mir spontan ein. Schon wieder eine Lüge. Wenn ich richtig mitgezählt habe, habe ich Judas jetzt schon längst überholt, und das Krähen des Hahnes ist noch in weiter Ferne.
»Wenn das einer bei uns machen würde, würdest du dich total aufregen! Was ist denn das für eine Doppelmoral?«
Milena weiß genau, wie man mit minimalem Aufwand größte Schmerzen erzeugt. Ich berufe mich auf einen Notfall, was sie mit einem leichten Kopfschütteln ablehnt. Sie lässt aber Gnade walten und vollstreckt nicht.
Magnus schlägt vor, das Schild in der Liebigstraße wieder abzuholen. Ein handfester und konkreter Vorschlag, aber ein zersägtes Schild vor das Café zu hängen, ist keine Lösung. Tauwetter zieht auf, das Eis glänzt angeschmolzen. Wir unterhalten uns entspannt über besetzte Häuser. Das bemerkt auch Milena, aber sie ist noch nicht
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