Fuer immer 2 - die Liebe
eigene Faust in eine fremde Stadt zu gehen, finde ich doch ein bisschen beängstigend.
Drew spielt mit der Papierhülle des Strohhalms, die neben seinem Glas auf dem Tisch liegt. »Ja, bin ich. Meine Eltern sind keine Akhet, und ich hatte die Nase voll davon, dass sie ständig versucht haben, mir vorzuschreiben, was ich tun und lassen soll. Ich wollte unabhängig sein. Darum habe ich mir ein Schiffsticket besorgt, bin dann eine Weile mit dem Bus herumgereist und schließlich hier gelandet.« Abwesend knüllt er die Papierhülle zu einer kleinen Kugel zusammen. »Zuerst haben sie ziemlich sauer reagiert, aber das war bloß, weil sie sich Sorgen gemacht haben – was ich auch nachvollziehen kann. Jetzt verstehen wir uns wieder besser, und ich besuche sie, so oft ich kann.«
»Warum ausgerechnet San Francisco?«
»Weiß nicht, irgendwas hat mich hierhergezogen, ich hatte das Gefühl, dass dies der Ort ist, an dem ich sein sollte. Damals wusste ich nicht, warum …«, er hebt den Kopf und sieht mich an, »… aber nun weiß ich es.«
Jetzt bin ich es, die den Blick senkt und eingehend das zerfurchte Furnier der Tischplatte betrachtet. Zum Glück kommt Maria mit unserem Essen und wir sind eine Weile beschäftigt. Ein Teil von mir sagt immer noch, dass ich nicht hier sein sollte, dass ich das letzte bisschen, das vielleicht von meiner Beziehung zu Griffon noch übrig ist, riskiere, indem ich mich mit Drew treffe. Doch es gibt auch jenen anderen, kleineren Teil, der verstehen will, was vor fünfhundert Jahren geschehen ist, der Antworten finden will auf die Fragen, die durch meine Erinnerungen aufgetaucht sind.
»Genug von mir«, sagt Drew, »jetzt will ich was von dir hören. Was tust du so, wenn du nicht gerade in der Musikschule unterrichtest?«
»Ich gehe auf die Highschool.« Als würde das alles erklären.
»Und was willst du danach machen? Aufs College gehen?« Er wirft einen Blick auf meine linke Hand. »Oder aufs Juilliard vielleicht?«
Ich nehme meinen Arm herunter und verstecke ihn unter dem Tisch. »Nein, jetzt nicht mehr.«
»Aber ich dachte, du spielst wieder.«
Ich schüttele unwillig den Kopf. »Schon, aber es ist überhaupt kein Vergleich zu früher. Und darum … wird daraus nichts werden.«
»Na ja, jetzt noch nicht, aber vielleicht nächstes Jahr?«
»Nein, auch nicht nächstes Jahr oder das Jahr darauf – nie mehr.« Ich habe keine Lust, dass er mir, wie alle anderen, wenn das Thema zur Sprache kommt, meine nicht existenten Möglichkeiten vorbetet. Ich will es nicht mehr hören, denn ich weiß, dass es vorbei ist. »Meine Karriere als Cellistin ist zu Ende, ich werde nie eine zweite Suggia oder Ma sein. Damit muss ich mich abfinden und der Rest der Welt auch.«
Drew kaut eine Weile nachdenklich, anscheinend unbeeindruckt von meiner genervten Antwort. »Hm, du magst Suggia?«
Verdutzt sehe ich ihn an. Außer meinen Freunden aus dem Konservatorium kennt niemand den Namen Guilhermina Suggia. »Natürlich mag ich sie. Sie ist die bedeutendste Cellistin in der Geschichte und hat den Weg für alle anderen bereitet. Leider gibt es von ihr nicht viele Aufnahmen, weil es schon so lange her ist, aber ein paar besitze ich. Aber sie ist nicht nur wegen ihrer Musik wichtig, sondern auch wegen der Art, wie sie ihr Leben gelebt und nie aufgegeben hat, bis man sie als eine der Besten anerkannt hat, obwohl sie eine Frau war und es zur damaligen Zeit so gut wie keine weiblichen Cellisten gab.«
Drew nickt. »Welches ist dein liebstes?«
»Stück, meinst du? Hm, wahrscheinlich ›Kol Nidrei‹. Es ist so voller Gefühl, alles, was sie empfindet, kommt darin zum Ausdruck.«
»Ja, das mag ich auch.« Er hält kurz inne und blickt sich um. Während wir gegessen haben, hat sich das Restaurant ziemlich rasch gefüllt. Er lehnt sich über den Tisch zu mir herüber und sagt leise: »Ich habe in Paris das Konzert für zwei Celli von Moór gesehen, das hat mich wirklich tief beeindruckt.«
Ich sehe ihn fassungslos an. » 1913 ? Zusammen mit Casals?«
»Ja, genau.« Drew isst in aller Seelenruhe den letzten Happen, faltet seine Serviette und legt sie auf den leer geputzten Teller. Mir fehlen einfach die Worte. Was soll man auch sagen, wenn einem jemand erzählt, dass er die Cellistin, die man am allermeisten bewundert, vor hundert Jahren in einem ihrer berühmtesten Konzerte gesehen hat?
»Ich gäbe alles dafür, auch dabei gewesen zu sein«, sage ich neidisch.
»Vielleicht warst du das ja. Auch wenn du
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