Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
jedes Mal gesagt, seine Partner hätten ihm versichert, dass er nichts zu befürchten hätte.
Offenbar war das aber nicht der Fall. Und ohne sein Einkommen waren sie am Ende. Sie hatten eine hohe Hypothek, die Autos mussten abgezahlt werden, und die laufenden Kosten des Hauses verschlangen ein Vermögen.
»Aber wie kann das sein? Ich dachte …«
»Wer als Letzter eingestellt wird, wird eben als Erster gefeuert.«
»O Gott.«
»Allerdings: O Gott . Und was die Abfindung betrifft, sind sie auch nicht besonders großzügig.«
»Ja aber … Wie siehst du denn deine weiteren Chancen? Meinst du, du kriegst einen Job bei der Konkurrenz? Du hast doch mal erzählt, dass die an dich herangetreten sind.«
»Als die Zeiten noch besser waren, ja. Aber jetzt sicher nicht. Und keiner interessiert sich für jemanden, der gerade auf die Straße gesetzt wurde.« Er sah sehr klein und hilflos aus. »Verdammt, Sarah. Das tut mir echt leid.«
»Was meinst du damit? Dafür bist du doch nicht verantwortlich!«
»Natürlich bin ich das. Ich muss schließlich die Familie ernähren, oder?«
»Sicher, aber du findest bestimmt was anderes. Das weißt du ja erst, wenn du es versuchst.«
»Ich hab’s versucht.«
Sie sah ihn verwirrt an.
»Ich weiß es schon seit ein paar Wochen. Seitdem versuche ich, etwas anderes zu finden. Ich hatte gehofft, ich könnte nach Hause kommen und sagen: › Das ist die schlechte Nachricht, aber jetzt kommt die gute. ‹ Leider hat’s nicht geklappt.« Er schwieg einen Moment. »Ich habe nur die schlechte Nachricht für dich.« Er legte den Kopf in die Hände.
Zögernd streckte Sarah die Hand aus und streichelte ihm den Rücken, unsicher, ob er den körperlichen Trost überhaupt wollte.
»Ach, komm, Ian. Davon geht die Welt nicht unter.«
Er sah auf. An seinem leeren Blick erkannte Sarah, dass für ihn die Welt bereits untergegangen war. Gesichtsverlust, Statusverlust, Einkommensverlust. Alles, was für ihn so wichtig war.
Sie versuchte, ihm Mut zu machen. »Wir können doch abspecken! Wir brauchen nicht so ein großes Haus, und auch nicht zwei dicke Autos«, entschied sie spontan. »Wir könnten eine Wohnung verkaufen. Oder die Hütte.«
»Nein!«, fiel er ihr ins Wort. »Die Hütte nicht. Das ist der einzige Ort, wo ich mich nicht …«, ihm versagte kurz die Stimme, »… unter Druck fühle.«
»Wirklich?«, fragte Sarah verblüfft. Davon hatte sie gar nichts geahnt. Sie hatte immer geglaubt, er hätte viel lieber ein Ferienhaus an einem mondäneren Ort gehabt, etwas, womit er auf der nächsten Dinnerparty prahlen konnte.
»Hier kann man ganz man selbst sein. Keiner beurteilt dich. Oder erwartet von dir, dass du es bringst. Oder ver sucht einzuschätzen, wie viel Geld du hast.« Ian schaute fins ter aufs Meer hinaus. »Ich weiß, dass ich mich in den letzten Jahren wie der letzte Arsch aufgeführt habe. Immer versucht habe … einer von denen zu werden. Mithalten wollte. Ich weiß auch, dass dich das angekotzt hat, all die Angeberei, und wie ich mit dem Geld um mich geworfen habe. Aber ich dachte irgendwie, es wäre die einzige Möglichkeit weiterzukommen. Sehen und gesehen werden und so weiter.« Er wandte sich ihr mit einem reumütigen Lächeln zu. »Und es tut mir wirklich leid. Du musst mich die ganze Zeit für einen Idioten gehalten haben. Und nun hast du sogar recht, weil gar nichts dabei rumgekommen ist.«
Sarahs Gedanken rasten. Vielleicht war seine Arbeitslosigkeit ja sogar eine gute Sache? Vielleicht war das die Krise, die sie retten würde? Zum ersten Mal seit langer Zeit sah sie wieder den Ian durchschimmern, in den sie sich einmal verliebt hatte.
»Ich finde nicht, dass gar nichts dabei rumgekommen ist«, widersprach sie ihm. »Wir haben doch immer noch einander. Und wir sind ja nicht plötzlich obdachlos. Lass es uns doch als Chance begreifen, Ian. Als Chance, uns auf das zu besinnen, was wir einander bedeuten und was wir wirklich im Leben wollen.«
»Aber ich weiß nicht, was ich will! Ich denke an die Zukunft, und alles, was ich sehe, ist ein schwarzes Loch! Ich habe Angst, Sarah.«
Sie streichelte ihm beruhigend den Arm. »Hör zu. Freu dich über das, was wir haben. Wir sind gesund. Wir haben zwei prächtige Töchter. Und ich habe Arbeit – ich kann das bestimmt noch ausbauen. Ich habe jede Menge Anfragen, die ich abwimmeln muss, weil ich keine Zeit dafür finde, aber wenn du jetzt mehr zu Hause bist und mir ein bisschen unter die Arme greifen kannst …«
»Hausmann
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