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Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer

Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer

Titel: Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Henry
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geküsst hatten.
    Marisa nahm die Flasche Chassagne Montrachet aus der Tasche und schenkte sich ein Glas ein. Dann nahm sie ihre Tabletten heraus. Sie hatte sie gesammelt, seit der Arzt sie ihr verschrieben hatte. Sie hatte ihm erklärt, sie könne seit Ludos Tod nicht mehr schlafen, und warum hätte er ihr nicht glauben sollen? Eine Weile später hatte sie behauptet, sie hätte die Packung auf dem Nachttisch in einem Hotelzimmer liegen lassen, als sie eine Freundin besucht hatte, und der Arzt hatte ihr selbstverständlich ein neues Rezept ausgestellt. Es würde ganz einfach sein.
    Sie drückte auf Play. Puccinis Crisantemi ertönte aus den Lautsprechern. Das Stück, das Ludo dirigiert hatte, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. So würde er sein, wenn sie ihn wiedersah. Der großartige junge Dirigent. Und sie würde die elegante, souveräne junge Frau sein, die es gewagt hatte, ihn zum Essen einzuladen. Das perfekte Paar.
    Sie trank von ihrem Wein. Genoss die kühle Nachtluft an ihren Wangen. Schwelgte in der Musik. Es gab immer noch Schönheit auf der Welt, obwohl er von ihr gegangen war. Dann stellte sie das Glas ab, stand auf und nahm einen letzten Gegenstand aus ihrer Strandtasche. Langsam ging sie in Richtung Meer.
    Es war Ebbe. Zuerst war der Sand trocken, dann kalt und nass. Sie ging immer weiter, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen, während der Wind die Puccini-Klänge aufs Wasser hinaustrieb.
    Steven beschloss, noch einmal kurz einen Blick in Mrs. Millers Zimmer zu werfen, ehe er in den Feierabend ging. Er traute den Zimmermädchen nicht. Die konnten immer gar nicht schnell genug Feierabend machen und in den Pub rennen. Mit dem Generalschlüssel öffnete er die Tür. Das Zimmer war tadellos aufgeräumt, und er hatte fast schon ein schlechtes Gewissen, weil er das Personal in Verdacht gehabt hatte. Die Kissen waren aufgeschüttelt, an den Haken hingen frische Handtücher. Dann hielt er inne. Irgendwie war alles ein bisschen zu tadellos.
    Nirgendwo lagen Kleidungsstücke herum. Keine Zahnbürste im Glas, kein Buch auf dem Nachttisch. Nichts. Nur Mrs. Millers Koffer auf der Ablage.
    Noch einmal überprüfte er das Bad und das Schlafzimmer. Nichts. Dann betrachtete er den Koffer. Nach kurzem Zögern öffnete er ihn. Es war alles da, säuberlich gepackt. Steven schaute auf den Strand hinaus. Irgendetwas beunruhigte ihn. Was hatte das alles zu bedeuten? Sie hatte alles eingepackt, war an den Strand gegangen …
    Er klappte den Koffer wieder zu, ließ die Schlösser einrasten, lief aus dem Zimmer, rannte die Treppe hinunter – der Aufzug war zu langsam – und durch die Drehtür nach draußen. Er warf einen Blick auf die Uhr. Viertel nach zehn. Sie müsste doch längst zurück sein! Um die Zeit war es am Strand selbst für Hartgesottene zu kalt.
    Als er über den Strand lief, fiel ihm auf, dass er das seit Jahren nicht mehr gemacht hatte. Mit gesenktem Kopf eilte er an den Hütten vorbei. Einige Leute waren immer noch draußen, genossen die Nachtluft, rauchten noch eine letzte Zigarette. Durch die Fenster sah er Leute in den Hütten essen, trinken, lesen, Karten spielen.
    Endlich war er bei der Strandhütte des Hotels angekommen. Die Tür stand weit offen, das Licht brannte. Aus einem tragbaren CD -Spieler erklang traurige Musik. Auf dem Tisch stand eine fast leere Flasche Wein, eine von der Sorte, die sie im Sands anboten. Als er neben dem Weinglas ein Tablettenröhrchen erblickte, stockte ihm der Atem.
    Er nahm es in die Hand. Schüttelte es. Es rappelte, und er atmete erleichtert auf. Trotzdem machte er sich Sorgen.
    Er schaute aufs Meer hinaus. Es lag dunkelblau und grau da, mit einem silbrigen Schimmer. Es herrschte Ebbe, das Meer hatte sich weit zurückgezogen, und man konnte fast nichts erkennen, aber ganz weit draußen, wo das Wasser begann, meinte er eine Gestalt auszumachen.
    Steven schluckte. Was sollte er tun? Eingreifen? Was wäre schlimmer: in jemandes Privatsphäre einzudringen oder am nächsten Morgen aufzuwachen und das Schlimmste zu erfahren und sich zu sagen, man hätte eingreifen müssen? Während er sich über dieses Dilemma den Kopf zerbrach, hörte die Musik auf und fing wieder von vorne an. Das berührte etwas so stark in ihm, dass ihm die Tränen kamen. Noch nie hatte er solche Gefühle für einen anderen Menschen gehabt. Bisher war sein Leben recht eintönig gewesen, prosaisch, ohne Leidenschaft und Sinn. Er beschloss, sich damit auseinanderzusetzen, sobald er konnte. Hatte er

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