Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
hätte er herausgefunden, dass sie mit dem Gesundheitsminister ins Bett ging oder einen florierenden Or ganhandel betrieb. Ihre Beziehung war symbiotisch gewesen. Leidenschaftlich. Spannend. Erfüllend. Sie hatten sich fast nie über Lappalien gestritten – wenn sie auch über Dinge, die ihnen wichtig waren, oft heftige Debatten geführt hatten.
War sie ihm vielleicht zu alt? Der Altersunterschied zwischen ihnen war Helena durchaus bewusst. Sie wirkte zwar sexy, souverän und selbstbewusst, aber dennoch schaute sie manchmal in den Spiegel und fragte sich, wo eigentlich die junge Medizinstudentin mit dem rosigen Gesicht geblieben war. Sie kaufte sündhaft teure Anti-Falten-Cremes. Sie ab solvierte ein eisernes Fitnessprogramm, um nicht in die Breite zu gehen. Sie ließ sich regelmäßig ihre grauen Haare tönen. Für jemanden, der nicht genauer hinsah, wirkte sie deshalb wahrscheinlich nicht älter als Neal mit seinen siebenunddreißig Jahren. Aber vielleicht hatte er die Fassade bröckeln sehen. Vielleicht hatte er einen Blick in die nahe Zukunft geworfen, und ihm hatte nicht gefallen, was er gesehen hatte.
Helena sträubte sich gegen den Gedanken, dass dies der wahre Grund sein könnte, denn das würde sie verrückt machen. Niemand wusste das, aber Helenas Erscheinungsbild war ihre Achillesferse – überraschend oberflächlich für eine, die so viel erreicht hatte. Sie verbarg ihre Unsicherheit sehr geschickt, weil sie so gar nicht zu dem Image passte, das sie sich erschaffen hatte, aber sie beobachtete sich selbst mit Adleraugen, und sobald sie auch nur das geringste Anzeichen von Verfallserscheinungen entdeckte, rückte sie diesem mit jeder verfügbaren Waffe zuleibe. Nur mit Schönheitschirurgie hatte sie es noch nicht probiert.
Helena redete sich lieber ein, dass Neal bestimmt Angst davor gehabt hatte, wie sehr ein Kind ihre Beziehung verändern würde und dass er deshalb die Flucht ergriffen hatte. Er war zu unreif, um die Vaterrolle zu übernehmen, weil er selbst noch ein Kind war. Obwohl sie lang und breit darüber diskutiert und sich gemeinsam dafür entschieden hatten, ein Kind zu bekommen, hatte er wohl insgeheim Vorbehalte gehabt, die auszusprechen er sich nicht getraut hatte. Es war ja nichts Ungewöhnliches, dass ein Mann kalte Füße bekam, wenn es darum ging, eine Familie zu gründen. Helena hatte das bei vielen ihrer Kollegen miterlebt, aber alle waren am Ende liebevolle Väter geworden.
Neal hatte einfach nicht zugeben wollen, dass das sein Problem war.
»Was ist es denn dann?«, hatte Helena verzweifelt gefragt.
»Ich weiß nicht. Ich kann’s dir nicht erklären. Es liegt nicht an dir. Es liegt an mir.«
Die dümmste Floskel aller Zeiten. Natürlich lag es an ihr! Großartig!
Dennoch zauderte Helena nicht lange. Sie fuhr Neal zum Flughafen, kaufte ihm im Buchladen Statusangst von Alain de Botton, gab ihm einen Abschiedskuss und ließ ihn in Jeans und seinem alten Cordjackett ziehen. Sie versuchte sich nicht vorzustellen, wer wohl die nächste Frau sein würde, die ihm mit den Fingern durch seine Locken fahren würde. Dann war sie schluchzend ins nächste Edelkaufhaus gefahren und hatte sich unverschämt teure Bettwäsche gekauft, ein Porzellanservice, Gläser, eine Salatschüssel aus Teakholz mit passendem Besteck, einen Mixer und einen dicken Chenille-Teppich. Es war ein therapeutischer Kaufrausch gewesen, der dermaßen ausgeartet war, dass sie sich alles liefern lassen musste.
Nun, zu Hause angekommen, hatte Helena sich beruhigt. Sie schenkte sich ein Glas Champagner ein, ließ sich aufs Sofa sinken und überlegte, was sie als Nächstes tun sollte. Wenn sie ganz still dasaß, konnte sie schwören, dass sie die Zeit ticken hörte wie das Krokodil in Peter Pan .
Natürlich war sie selber daran schuld, dass sie es so lange vor sich hergeschoben hatte. Es war ihr verdammter Ehrgeiz gewesen, ihr verzweifeltes Streben nach oben. Während sie jahrelang geackert hatte wie eine Blöde und unermüdlich die Karriereleiter hochgeklettert war, hatte sie die innere Stimme ignoriert, die ihr geraten hatte, innezuhalten, eine Auszeit zu nehmen, um darüber nachzudenken, was sie als Frau und nicht als Ärztin vom Leben erwartete. Und als sie endlich auf die Stimme gehört hatte, hatte der Mann, mit dem sie seit acht Jahren zusammen gewesen war, sie hängenlassen.
Helena Dickinson hatte Torschlusspanik.
Knapp fünf Wochen später saß sie auf der kleinen Veranda einer Strandhütte, die dem Sands
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