Für immer, Deine Celia: Roman (German Edition)
würde.
»Warum nicht jetzt gleich?«, fragte Jenny, die bereits aufgestanden war.
»Dann hatte sie zu Lebzeiten Ihres Vaters nie ein eigenes Arbeitszimmer?«, bemerkte sie, als sie Sarah die Treppe hinauffolgte. Die Tapeten an den Wänden waren verblasst, der Teppich war abgetreten, und überall blätterte Farbe ab. All das schien Jenny jedoch ausgesprochen interessant zu finden.
»Mummy brauchte damals keines.«
»Aber schon damals hatte sie doch viele Jahre lang Romane geschrieben, oder?«
»Nach Daddys Tod war es was anderes.«
»Ach ja?«
»Sie hatte plötzlich viel Zeit.«
»War sie einsam?«
»Nicht unbedingt …« Sarah verstummte. Tatsächlich hatten sie die Mutter, wenn sie auf Besuch kamen, gelegentlich seltsam aufgeregt vorgefunden, so als wären sie in eine imaginäre Party geplatzt.
Jenny beantwortete sich die Frage selbst. »Aber natürlich war sie nicht einsam, weil sie all die wunderbaren Figuren aus ihren Büchern hatte, die ihr Gesellschaft leisteten.«
Sie hatten den Treppenabsatz vor dem Arbeitszimmer erreicht.
»Ganz oben unter dem Dach«, sinnierte Jenny, als sei auch das von Bedeutung.
»Es war eigentlich das Gästezimmer«, sagte Sarah und nahm den Schlüssel aus der Tasche.
»Sie schließen das Zimmer ab?«
»Mummy hat es immer so gehalten.«
»Ach tatsächlich?«
Plötzlich bereute Sarah, dass sie sich hatte überreden lassen. Kummer hatte eine seltsame Wirkung auf sie. Und der Alkohol tat sein Übriges. Sie fürchtete plötzlich, die sanftmütige, unergründliche Seele der Mutter könne noch hinter der verschlossenen Tür ihr Unwesen treiben. Würde sich diese in ihrer Verzweiflung verflüchtigen, sobald Sarah eine Fremde – besonders eine so hartnäckige mit sehr zielbewusstem Interesse – einließ? Für eine Umkehr war es zu spät.
Sie hörte, wie Jenny die Luft anhielt, als die Tür aufschwang. Was hatte sie erwartet? Mit großer Sicherheit nicht diese schäbige, unglaublich chaotische Mansarde, in der in drangvoller Enge Millionen von Wörtern lagerten: Wörter in Büchern und auf Bergen von Papieren und Zetteln. Während Sarah diese Gedanken durch den Kopf gingen, flog von Oscars alter Hundedecke in der Ecke eine Kleidermotte auf. In diesem Moment kam ihr in ihrem leicht alkoholisierten Zustand augenblicklich das Bild eines Schwarms Druckbuchstaben in den Sinn, die aus dem Raum wehten. »Das war ihr Zimmer«, sagte sie beschämt angesichts der dicken Staubschicht überall und den Spinnweben in den Ecken. »Sie hat nicht mal die Putzfrau hier reingelassen.«
Zu ihrer Überraschung schien Jenny zufrieden. »Genau, wie ich es erwartet habe.« Und dann fuhr sie fort: »Dieser Raum zeugt von einer wunderbaren Freiheit des Geistes. Ihre Mutter hat ein sehr behütetes Leben geführt, stimmt’s? Aber mithilfe ihrer Phantasie hat sie alle Schranken überwunden.«
»Ach, hat sie das?«
»Ja, sicher. Sie hat über Dinge geschrieben, die sie unmöglich selbst erlebt haben konnte.« Jenny schüttelte den Kopf, als könne sie noch immer nicht fassen, dass sie tatsächlich in Celias Zimmer stand. »Nach dem Tod Ihres Vaters hat sie seltsame Orte aufgesucht.« Sie schien ihr Versprechen, nur einen Blick ins Zimmer werfen zu wollen, vergessen zu haben, denn sie berührte einige Dinge, zuerst nur leicht und zögerlich, griff dann aber mit wachsendem Selbstvertrauen nach einem Buch hier, einem Papierstapel dort. »Überrascht mich, dass sie mit einem Computer gearbeitet hat«, bemerkte sie und betrachtete den Dell auf dem Schreibtisch.
»Ich bin nicht sicher, ob meine Mutter ihn wirklich benutzt hat«, erwiderte Sarah. »Sie hat immer in Notizbücher und auf Zettel geschrieben. Richtig tippen konnte sie, glaube ich, gar nicht. Ich muss mal die Kinder fragen.«
»Hatte sie Zugang zum Internet?«, erkundigte sich Jenny und strich mit einem Finger über die Tastatur des Computers.
Sarah nickte, froh, einmal besser informiert zu sein. »Die Enkel haben ihr beigebracht, wie’s geht. Offenbar hat sie es schnell gelernt. Was man von mir nicht behaupten kann.«
»Vermutlich hatte sie E-Mail-Kontakte mit Verlegern in unterschiedlichen Ländern, mit Fans … und so weiter.«
»Darüber habe ich nie nachgedacht.«
Daraufhin sagte Jenny: »Das können Sie jederzeit nachprüfen.«
»Wie bitte?«
»Ist vermutlich alles im Computer gespeichert. Die E-Mails, die sie verschickt oder empfangen hat. Das ist das Tolle an Computern. Man muss schon ein Profi sein, um Daten unwiederbringlich
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