Für immer die Seele (Für-immer-Trilogie) (German Edition)
»Wenn etwas so viele Stunden in der Woche zwischen meinen Knien klemmt, dann kann es bitte schön auch gleich der sexyeste Sänger aller Zeiten sein.«
»Veronique!«, flüstere ich und kichere. Ich schaue zur Tür hinüber, um sicherzugehen, dass Mom uns nicht hört. »Und was sagt dein Freund dazu?«
Sie zuckt die Schultern. »Giacomo findet ihn auch sexy. Vermutlich wird’s ihm gefallen.«
Ich hebe abwehrend die Hand. »Stopp, mehr will ich gar nicht wissen«, sage ich und bin so verlegen, dass ich sie kaum ansehen kann.
»Also los, Bono«, sagt sie und rückt ihr Cello zurecht, »dein Auftritt.«
Wir arbeiten ein bisschen an den Bach-Variationen und dann schlage ich ihr etwas Neues vor. »Das hier habe ich gerade bekommen und das Arrangement sieht nicht allzu schwierig aus. Es ist eines der allerersten klassischen Stücke, die ich gespielt habe«, sage ich und lege die Noten auf den Ständer. Kaum habe ich die ersten Takte von Chopins Sonata in G gespielt, greift Veronique plötzlich nach den Noten und reißt die Blätter herunter. Ich schaue sie verstohlen von der Seite an und sehe einen gequälten Ausdruck auf ihrem Gesicht.
»Tut mir leid«, sagt sie mit zittriger Stimme, »kein Chopin.«
Seltsam, Veronique hatte noch nie etwas gegen meine Musikauswahl einzuwenden. »Gar nichts, auch keine Polonaise ?«
»Nein. Ich … Ich kann Chopin nicht ausstehen.« Ihr Gesicht ist gerötet, sie sieht verstört aus. Noch nie habe ich sie anders als cool und kontrolliert erlebt. Was kann ein harmloses Musikstück an sich haben, dass sie dermaßen die Fassung verliert?
»Kein Problem«, sage ich, hebe die Notenblätter auf und schiebe sie unter meinen Stuhl. »So toll finde ich ihn eigentlich auch nicht.« Das ist eine komplette Lüge, denn Chopin hat einige meiner liebsten Stücke komponiert. Aber sie sieht schon verlegen genug aus und ich will es nicht noch schlimmer machen. Als ich mich wieder aufrichte, dreht sich alles in meinem Kopf. Ich versuche, mir einzureden, dass ich nur zu schnell wieder hochgekommen bin, aber dann kommt die Panik, und das Zimmer beginnt, sich immer weiter von mir zu entfernen. Ich sehe, dass Veroniques Lippen sich bewegen, aber ich kann nicht mehr hören, was sie sagt.
Ich stehe hinter der Bühne und betrachte Alessandra, die den Bogen herunternimmt, während die letzten Töne des Chopin-Stücks im Konzertsaal verklingen. Donnernder Applaus hallt durch den Saal. Sie steht auf, hält mit einer Hand das Cello und streicht sich mit der anderen das lange, blonde Haar aus dem Gesicht. Seit sie so alt war wie ich jetzt, spielt sie beim Young Masters Orchestra für junge Talente und ist in den letzten vier Jahren in Begleitung ihres Vaters damit um die ganze Welt gereist. Jetzt ist sie fast neunzehn, natürlich viel besser als ich und außerdem wunderschön, darum fühle ich mich in ihrer Gegenwart immer unzulänglich.
Noch bevor er spricht, spüre ich, dass er hinter mir steht. »Bist du bereit, Clarissa?«, fragt Paolo, und sein Lächeln strahlt im gedämpften Licht hinter der Bühne. Wie immer, wenn er in meiner Nähe ist, beginnt mein Herz zu pochen. Ich schaue zu ihm auf und nicke kurz. Im Flackern des Rampenlichts sieht sein Haar beinahe schwarz aus. Paolos Hand liegt sanft auf meinem Ellbogen, als er mich auf die Bühne geleitet, wo mein Cello und ein zweiter Stuhl neben Alessandra auf mich warten. Eigentlich sollte ich aufgeregt sein, denn dies ist mein erster Auftritt und es ist ein großes Publikum, aber alles, was ich spüre, ist die Berührung seiner Hand auf meiner Haut. Paolo verneigt sich kurz und setzt sich dann an den Flügel. Ich senke den Kopf, wie die anderen Musiker auch, um mich auf den Beginn des Stückes zu konzentrieren, aber ich kann nur daran denken, dass Paolo Alessandra gehört. Sie sind so offensichtlich verliebt, und in den Blicken, die sie einander zuwerfen, liegt solch eine Leidenschaft, dass man manchmal wegschauen muss. Alle in der Truppe wissen es, und auch nur zu träumen, es könnte anders sein, bedeutet, unvorstellbaren Ärger heraufzubeschwören.
Veronique sieht mich besorgt an. »Ist alles okay? Du bist ganz blass.«
Ich blinzele und schaue mich um. Die hellen Bühnenlichter sind dem bunten Licht der Tiffany-Lampen gewichen, die meine Mom so mag. »Alles in Ordnung«, sage ich, und meine Stimme klingt fester, als ich vermutet hätte. »Mir war nur ein bisschen schwindlig. Ist bestimmt noch der Jetlag.«
Sie sieht erleichtert aus. »Ja,
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