Fuer immer Ella und Micha
losfahren, besuche ich meine Therapeutin. Anna meinte, es wäre angesichts meines Nervenzusammenbruchs vor einer Woche wichtig.
Jetzt ist mein Kopf klar, wenigstens teilweise, auch wenn für mich keinen Sinn ergibt, was passiert ist oder warum ich all diese schrecklichen Sachen zu Micha gesagt habe. Letzteres war in dem Moment logisch, als ich es getan habe, aber das war wie in einem Traum, und als ich aufwachte, traf es mich wie ein Schlag unter die Gürtellinie. Ich habe sogar überlegt, ihn anzurufen und mich zu entschuldigen, doch dazu fehlt mir der Mut.
»Dann geht es dir besser?«, fragt sie und macht sich Notizen. »Gab es keine Erschöpfung mehr, Kopfschmerzen oder Lichtempfindlichkeit?«
Ich verneine stumm. »Mir geht es okay, und die Tabletten helfen anscheinend.«
»Schön. Das freut mich.« Sie steckt ihren Stift zu den anderen in den schwarzen Keramikköcher. »Und denk an das, was ich dir gesagt habe: flipp aus, schrei, heule. Tu das, was nötig ist, um es herauszulassen. Unterdrück deine Gefühle nicht, denn genau daher rühren die meisten deiner Probleme.«
Ich nicke. »Ich denke daran, versprochen.«
»Falls du Rat brauchst, solange du weg bist, ruf mich an.« Sie gibt mir ihre Karte mit der Telefonnummer, und ich stecke sie ein. »Und das ist mein Ernst, Ella. Ruf mich an, selbst wenn du nur über das Hühnchen reden willst, das du gegessen hast.«
Ich stehe auf. »Hühnchen?«
»Auf Hochzeiten gibt es immer Hühnchen.« Sie lächelt kurz und wird gleich wieder ernst. »Vergiss nicht, einfach zu atmen und die Dinge Schritt für Schritt anzugehen. Überstürze das Leben nicht. Du musst es fürs Erste ruhig und langsam angehen und dich auf dich selbst konzentrieren.«
»Mach ich«, verspreche ich ihr und gehe raus – die weisen Worte im Kopf.
»Ich muss sagen, dass das hier wirklich die schönste Hochzeit ist, bei der ich je war.« Ich sehe zu den schwarzen und lila Kerzen auf dem Tisch und den Blütenblättern, die überall auf den weißen Tischtüchern der acht Tische verstreut sind.
Die Hochzeit findet draußen statt, unter einem weißen Baldachin im Garten von Carolines Eltern. Die wiederum wohnen in einer zweistöckigen Villa mit Säulen und einer umlaufenden Veranda. Als kleines Mädchen hatte ich geträumt, selbst mal in so einem Haus zu leben. Dann wurde ich sechs und begriff, dass es nie passieren würde.
»Was steht heute Abend an?«, fragt Lila mit Blick auf die Rolex an ihrem Handgelenk. »Die Hochzeit ist ja erst morgen, aber ich möchte nicht herumsitzen und beim Aufbau zuschauen. Ich will mich ein bisschen amüsieren.«
»Ich glaube nicht, dass wir verpflichtet sind mitzuhelfen.« Ich drehe den Verschluss von meiner Wasserflasche ab und nehme einen Schluck. »Ich war schon bei der Anprobe für mein Brautjungfernkleid, was ja wohl so abgedreht ist.«
Lila ist verwirrt. »Wieso ist das abgedreht?«
Ich schraube die Flasche wieder zu. »Na, Caroline kennt mich doch so gut wie gar nicht. Deshalb verstehe ich nicht, wieso sie will, dass ich eine ihrer Brautjungfern bin.«
»Weil du ihre Schwägerin wirst, Ella.« Lila schöpft einige Blütenblätter auf und streut sie zurück auf das Tischtuch. »Und sie scheint echt nett zu sein.«
Ich sehe hinüber zu Caroline, die mit dem Hochzeitsplaner spricht. Seit unserer letzten Begegnung ist ihr schwarzes Haar etwas länger geworden, und sie trägt ein langes schwarzes Kleid unter einer Jeansjacke. Dean ist bei der Arbeit. Seit unserer Ankunft gestern habe ich ihn kaum gesehen.
»Wir könnten ins Hotel gehen und uns etwas beim Room Service bestellen«, schlage ich vor und sehe wieder Lila an. »Und wir lassen alles auf die Zimmerrechnung setzen, sodass Dean es bezahlen muss.«
Lila wickelt sich kichernd eine Haarsträhne um den Finger. »So witzig das auch klingt – da du wahrlich kein Fan von deinem Bruder bist –, wäre ich eher dafür, dass wir weggehen und uns ein bisschen amüsieren.«
Ich drehe die Flasche zwischen meinen Händen. »Lila, ich darf nichts trinken, solange ich die Tabletten nehme.«
»Wir müssen ja auch nichts trinken. Wir können ebenso gut nüchtern Spaß haben.« Auf einmal leuchten ihre Augen auf, und sie klatscht in die Hände. »Jaaa, wir suchen uns ein superedles Restaurant und bezahlen mit der Kreditkarte, die mein Dad noch nicht gesperrt hat.«
Ich muss grinsen. »Wir sind heute Abend anscheinend beide auf Ärger aus.«
Sie lacht und wirft den Kopf in den Nacken. »Oder wir haben bloß beide
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