Fuer immer Ella und Micha
machst du denn?« Ich ziehe sie hastig in die Wohnung, um ihren kaum verhüllten Leib vor gaffenden Blicken zu schützen. Ihre Haut ist eiskalt, und sie zittert. »Bist du zu Fuß hergekommen?«
Kopfschüttelnd verschränkt sie die Arme vor dem Oberkörper. »Nein, mit dem Bus.«
Mein Blick fällt auf ihre nackten Beine und ihre ansonsten auch sehr spärliche Kleidung. »So angezogen?«
Sie zuckt mit den Schultern und sinkt auf die Couch. Jetzt bemerke ich, dass sie einen Briefumschlag in der Hand hält. »Außer mir saß kaum jemand in dem Bus.«
Ich schalte die Lampe an, setze mich zu Ella und lege einen Arm um sie, weil ich sie dringend trösten möchte. »Was ist passiert? Und was hast du da?«
Sie reicht mir den zerknüllten Umschlag mit ihrer Adresse darauf. »Der kam gestern an.«
Ich drehe ihn um und sehe, dass sie ihn geöffnet hat, also weiß sie schon, was in dem Brief steht. »Von wem ist der?«
Ella tippt mit dem Finger auf den Absender. »Von meinem Dad.«
Mist. »Was schreibt er?«
Sie starrt mit großen Augen auf den Fußboden. »Dass es ihm leidtut und nicht meine Schuld war, was mit meiner Mom passiert ist. Dass er schuld ist, weil er der Erwachsene war und er nie einem Kind so eine Verantwortung hätte geben dürfen. Er hätte zu Hause sein müssen und sich um seine Familie kümmern, anstatt in der Bar … und dass er mich liebt.« Tränen strömen ihr übers Gesicht, und ihr Atem geht stockend. »Ich wünsche mir schon ewig, dass er das sagt.«
Bei dem Schmerz in ihrer Stimme könnte ich selbst fast heulen. Sie klettert auf meinen Schoß, lehnt ihr Gesicht an meine Brust und klammert sich schluchzend an mich. Ich hebe sie hoch und trage sie in mein Zimmer, wo ich mich mit ihr ins Bett lege.
Mit jeder Träne, die sie vergießt, raubt sie mir mehr von meinem Herzen, bis es ihr vollständig gehört. Mir wird bewusst: Egal was für schlimme Zeiten wir durchmachen müssen, ich werde niemals imstande sein, von ihr wegzugehen.
Beim Aufwachen ist Ellas Kopf in meine Halsbeuge geschmiegt, und ihre Arme sind fest um meinen Oberkörper geschlungen, als fürchtete sie, dass ich mich mitten in der Nacht davonschleichen könnte.
Sie hat sich die Seele aus dem Leib geweint, ehe sie schließlich einschlief, und mir brach es beinahe das Herz. Obwohl ich mich deshalb schlecht fühle, gibt es Momente, in denen ich ihre beknackte Familie hasse. Sie haben ein wunderschönes Mädchen, das voller Leben steckte und Erstaunliches hätte tun können, mit ihrem ganzen Dreck zerstört. Auch wenn sie es überwindet – und ich erkenne sehr wohl, dass sie dabei ist –, ist sie nach wie vor gebrochen und verwundbar.
»Raus aus den Federn! Wir müssen los!«, ruft Ethan, wirft die Tür auf und sieht uns entgeistert an. »Du fährst doch noch, oder?«
Ich nicke, während Ella sich dichter an mich kuschelt. »Ja, gib mir eine Viertelstunde.«
»Geht klar, Alter. Aber beeil dich.« Er lässt die Tür weit offen, als er geht.
»Babe, bist du wach?«, flüstere ich ihr ins Ohr und küsse die Stelle darunter.
Ihre Schultern heben sich zittrig, als sie mit geschlossenen Augen nickt. »Wie könnte ich diesen Lärm verschlafen?«
Ich knabbere an ihrem Ohrläppchen und inhaliere den Duft ihres Haars. »Ich muss mich fertig machen … Bist du sicher, dass du nicht mit uns kommen willst? Ich würde mich wirklich freuen.«
Sie legt ein Bein über mich und rückt noch näher. »Ich denke, ich – ich will mit euch kommen. Aber erst mal muss ich nach Hause und schnellstens eine Tasche packen. Und ich müsste kurz bei meiner Therapeutin vorbei. Außerdem sollten wir Lila fragen, ob sie mit uns kommt. Ich möchte nicht, dass sie ganz alleine hier ist.«
Mein Körper versteift sich bei ihrer intimen Berührung. »Na gut, aber mach dich darauf gefasst, dass Ethan die ganze Zeit rumjammern wird.«
Sie rollt sich auf mich, stützt ihre Ellenbogen auf und sieht mich mit verheulten Augen an. »Ich weiß. Dann muss er eben verkraften, dass er ein paar Stunden später da ankommt, wo immer er glaubt, dringend sein zu müssen.«
Ich vergrabe meine Finger in ihren Haaren und ziehe ihr Gesicht nahe zu mir. Mir gefällt, wie sie die Augen verdreht. »Bist du sicher, dass es dir gut geht? Letzte Nacht habe ich mir Sorgen gemacht.«
»Ja, mir geht es gut, Micha.« Sie küsst mich sanft auf den Mund. »Das letzte Nacht war nötig, auch wenn es hart war. Und ich denke, ich muss nach Hause, und sei es nur, um mit meinem Vater zu
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