Für immer, Emily (German Edition)
ließ eine ihrer Haarsträhnen durch seine Finger gleiten und lächelte. War das nicht genau das, was er schon so lange hatte tun wollen? Er fühlte, wie sie eine Hand hob und über seinen Hinterkopf strich. Ihre Finger vergruben sich kurz in seinen Haaren und er fühlte ihren Atem an seinem Hals. Schließlich löste sie sich fast zögernd von ihm, und am liebsten hätte er ihr gesagt, sie solle das nicht tun. Sie solle ihn bitte nicht loslassen. Doch er schwieg und zog seine Arme ebenfalls zurück. Sie sahen sich einen Moment schweigend an, dann legte Emily den Kopf schief. Ein schüchternes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Möchtest du deine Mom besuchen gehen? Wenn du willst, komme ich mit.“
Niclas sah sie überrascht an. „Du würdest mit mir zum Friedhof kommen?“
„Ja, sicher. Natürlich nur, wenn du das möchtest.“ Sie klang nun wieder etwas unsicher, und Niclas seufzte innerlich. Wieso zweifelte sie daran, dass er gerne mit ihr zusammen war?
„Das wäre wirklich schön. Ich wollte nachher sowieso noch hinfahren, aber wenn du mitkämest, das würde mir viel bedeuten.“
Sie nickte. „Das mach ich gerne. Wirklich. Also, wollen wir gleich?“
„Ja, ich räume unten noch kurz auf, dann können wir los. Und, Emily, danke. Dafür, dass du mitkommst und auch für eben. Das hat mir gut getan.“
Sie lächelte und strich sich verlegen eine Haarsträhne hinters Ohr. „Klar, wir sind schließlich Freunde.“
Er nickte. „Ja, das sind wir.“
Sie waren beide aufgestanden und wussten nicht genau, wohin mit ihren Händen und Blicken. Schließlich murmelte Niclas: „Okay, ich bin gleich fertig.“ Er drehte sich um und lief die Treppe nach unten in den Keller, während Emily sich aufatmend wieder auf die Couch fallen ließ. Freunde. Sonst nichts.
Eine halbe Stunde später fuhren sie durch den leichten Nieselregen zum Friedhof. Vorher hatten sie noch bei Niclas zuhause die Blumen geholt, die er am Tag zuvor schon besorgt hatte.
„Gelbe Rosen. Das waren die Lieblingsblumen meiner Mom. Ich bringe ihr öfter mal einen Strauß, und natürlich immer an ihrem Geburtstag und ihrem Todestag.“
„Sie sind wunderschön. Deine Mom würde sich sicher sehr darüber freuen.“
„Ja, vielleicht.“ Niclas griff nach dem Autoschlüssel, der an dem Schlüsselboard hing. „Fahren wir mit dem Wagen zum Friedhof, sonst werden die Blumen zerdrückt. Mein Dad ist mit dem Taxi zum Flughafen gefahren heute Morgen.“
Emily nickte. „Okay.“ Sie nahm die Blumen und überlegte, warum er eben so eigenartig geklungen hatte, als er sagte, dass seine Mom sich vielleicht über die Rosen freuen würde. Als ob er sich nicht sicher sei, ob sie etwas von ihm haben wollte. Merkwürdig.
Auf dem Friedhof war außer ihnen keine Menschenseele zu sehen, alles wirkte traurig und melancholisch an diesem trüben, regnerischen Tag. Niclas hatte auf der kurzen Fahrt hierher kein Wort mehr gesagt, und Emily ließ ihn in Ruhe. Offenbar setzte ihm dieser Tag ziemlich zu, und sie wollte ihn nicht mit Fragen löchern, sondern ihm zeigen, dass sie für ihn da war. Sie gingen schweigend zwischen den Grabreihen hindurch, und Emily fühlte ein leichtes Frösteln, das nicht von der kühlen Witterung kam. Eigentlich mochte sie Friedhöfe sonst sehr gerne, so eigenartig das auch klang, aber sie fühlte sich wohl in dieser Umgebung des Vergänglichen. Sie mochte es, wenn Kerzen auf den Gräbern brannten, und sie mochte die Zwiesprache mit den Toten. Zuhause war sie oft auf den Friedhof gegangen, um das Grab ihres Großvaters zu besuchen. Sie brachte ihm Blumen und fragte ihn um Rat. Dann sah sie den weißhaarigen alten Herrn mit den gütigen blauen Augen vor sich, fühlte sich getröstet und empfand einen tiefen inneren Frieden.
Niclas dagegen schien weit davon entfernt zu sein, Frieden zu empfinden, denn seine Augen wirkten leer und müde, und ein fast gequälter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Seine Blässe schien sich in den letzten Minuten noch verstärkt zu haben. Emily hatte plötzlich das übermächtige Bedürfnis, ihn zu halten und zu beschützen. Und obwohl seine Miene verschlossen war, und sie insgeheim immer noch mit einer Abfuhr rechnete, wie zu Anfang, als sie sich kennen gelernt hatten, schob sie ihre Hand unter seinen Arm und lächelte ihm etwas unsicher zu. Er blickte zu ihr herunter. Ein leichtes Lächeln stahl sich in seine Augen, und Emily atmete erleichtert auf. Nach einigen Minuten erreichten sie das Grab seiner Mutter
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