Für immer, Emily (German Edition)
Felle bei Niclas davonschwimmen sahen. In der Kabine schloss Emily einen Moment die Augen und atmete tief durch. Sie war bei weitem nicht so ruhig, wie sie gerade geklungen hatte, denn erstens war sie ein Mensch, der harmoniesüchtig war und gerne mit jedem gut auskam. Das war schon immer so gewesen. Und zweitens hatte sie seit dem Vorfall das wenige an Selbstbewusstsein, das sie jemals besessen hatte, ziemlich eingebüßt, und Streitereien, seien sie auch noch so klein und unbedeutend, setzten ihr zu und kosteten sie zusätzlich noch von dem bisschen Kraft, das sie sich so mühevoll zurückerarbeitet hatte. Sie wartete, bis die Tür hinter den beiden Zicken ins Schloss fiel und verließ erst dann wieder ihre Kabine. Nun musste sie sich wirklich beeilen, vermutlich würde Mr. Emmerson schon im Saal sein. Sie lief schnell den Flur zurück und schaffte es gerade noch, vor dem Lehrer in den Klassenraum zu schlüpfen. Niclas sah sie vorwurfsvoll an, und sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. Sie saß in Mathe leider nicht neben ihm, sondern neben Jennifer, und er musste sich mit Tracy herumplagen, die ihn schon wieder in Beschlag genommen hatte.
Mr. Emmerson rauschte in den Saal und warf die Tür missgelaunt hinter sich ins Schloss.
„Guten Morgen, Herrschaften. Zuerst wollen wir kurz über den Ausflug nächste Woche sprechen, dann haben wir das hinter uns.“ Er klang alles andere als begeistert, und Emily verdrehte leicht die Augen. Das konnte ja heiter werden. An der Middletown High war es üblich, dass die Klassen alle drei Monate mit einem wechselnden Lehrer einen Ausflug unternahmen. Das sollte dazu dienen, das Lehrer-Schüler-Verhältnis zu stabilisieren, und meistens klappte das auch ganz gut, denn die meisten Lehrer an dieser Schule waren beliebt. Leider jedoch gab es auch solche wie Mr. Emmerson, mit denen man einfach kein gutes Verhältnis aufbauen konnte, selbst wenn man jede Woche einen Ausflug zusammen unternehmen würde.
Emmerson klopfte mit einem Lineal auf das Lehrerpult und lenkte damit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. „Nun, wie einige von Ihnen vielleicht wissen, fahre ich sehr gerne Fahrrad. Ich habe schon etliche sehr schöne Strecken hier entdeckt und dachte mir, das wäre eine gute Idee für unseren Ausflug. Wir könnten eine schöne Radtour unternehmen, das wäre doch einmal etwas anderes als die üblichen Fußmärsche, Schwimmbadbesuche und dergleichen. Was halten Sie davon?“
Alle schwiegen, denn jedem war klar, dass die Frage nur rhetorisch gemeint war, und eine ablehnende Antwort sowieso völlig unmaßgeblich sein würde, denn Emmerson stellte in der Regel keine Fragen, sondern machte nur Ansagen. Also würde er auf alle Fälle seinen Fahrradausflug durchziehen, gleich, was die Schüler davon hielten. Emily stützte den Kopf in die Hand und seufzte. Na toll, sie hatte ja nicht mal ein Fahrrad hier. Außerdem konnte sie sich Interessanteres vorstellen, als bei trübem Herbstwetter durch die Landschaft zu radeln. Sie warf einen Blick zu Mara, die ebenfalls ihre Begeisterung kaum in Zaum halten konnte, denn sie verzog das Gesicht zu einer übertrieben leidenden Grimasse. Emily musste grinsen. Dann sah sie zu Niclas hinüber und erschrak. Er hatte die Ellenbogen auf den Tisch gestützt und den Kopf in den Händen verborgen. Für einen Moment dachte sie, ihm sei schlecht geworden, doch dann richtete er sich wieder auf, und sie erkannte erleichtert, dass es ihm körperlich zumindest gut zu gehen schien. Allerdings hatte sein Gesicht einen harten, abweisenden Ausdruck angenommen. Emily wurde ganz elend bei der Erinnerung daran, wie oft er sie in ihrer Anfangzeit hier so unfreundlich angeschaut hatte. Sein Blick traf jetzt auf ihren, und für einen Moment schien er sich in irgendeiner Erinnerung zu verlieren, dann jedoch wurden seine Züge wieder weich und er lächelte ihr zu. Sie lächelte zurück, war aber dennoch irritiert. Dieser Ausdruck eben – das war viel mehr als Lustlosigkeit oder Frust über einen ungeliebten Ausflug gewesen. Was war nur los mit ihm? Sie würde ihm so gerne helfen, denn dass Niclas einen tiefen Kummer mit sich herumtrug, war für sie offensichtlich.
„Nun, wenn niemand einen Einwand hat, ist es beschlossen. Ich werde Ihnen die Route dann noch genau mitteilen. Wir treffen uns hier um neun Uhr morgens. Bringen Sie gute Kondition mit.“ Emmersons Laune schien sich, in Vorfreude auf die Radtour, gehoben zu haben, denn für den Rest der Stunde verschonte
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