Für immer, Emily (German Edition)
runzelte und darüber nachdachte, was ihn dazu veranlasst haben könnte, bei dem Wetter und nach all dem Stress noch mal loszufahren.
„Ja, ich ... ich musste nachdenken.“
Er hörte ihr Atmen. „Ich auch. Komisch, hm?“
„Ja, komisch.“
Sie schwiegen einen Moment verlegen. „Ich bin froh, dass du anrufst, ich war mir nicht sicher, ob du es tun wirst.“ Sie hielt kurz inne. „Ich vermisse dich. Vorhin habe ich schreckliche Dinge geträumt, und als ich aufwachte, ist mir das Atmen wieder so schwer gefallen. Ich wünschte, du wärst hier.“
Niclas schloss die Augen und murmelte: „Ich vermisse dich auch. Und ich bin doch hier. Ich bin bei dir, Emily. Wenn du es zulässt, bin ich jetzt ganz nah bei dir.“
„Wirklich? Bist du das?“ Ihre Stimme klang zweifelnd.
Er verzog schmerzlich das Gesicht. Die Szene am Nachmittag hatte ihr offenbar ziemlich zugesetzt. „Das bin ich, Emily. Es tut mir leid, wegen vorhin. Ich kann es dir nicht erklären, aber es ist nicht so, wie du denkst. Bitte, du darfst nicht glauben, es würde an dir liegen. Bitte nicht.“ Er zögerte kurz. „Du bist zauberhaft. Und ich wünschte, es wäre alles anders.“
Emily schwieg einen Moment und versuchte, die aufsteigenden Tränen hinunterzuschlucken. Sie sah wieder diesen Schmerz in Niclas‘ Augen. Sie wollte ihm so gerne etwas sagen, was ihn trösten könnte. Aber es fiel ihr nichts Passendes ein. „Das wünschte ich auch.“
Sie schwiegen nun beide eine Weile.
„Möchtest du mir erzählen, was du geträumt hast?“, fragte er.
„Ich träume von den Schatten. Ich träume immer von ihnen. Jede Nacht. Sie sind überall.“
Niclas fühlte, wie sich etwas in ihm verkrampfte bei ihrem Worten, aber er lauschte still weiter. Ihre Stimme zitterte. „Sie sind immer da, ich versuche, sie abzuschütteln, aber es gelingt mir nicht. Sie haben keine Gesichter und machen mir schreckliche Angst. Es ist immer ganz finster, da wo sie sind. Nicht einfach nur dunkel, verstehst du, sondern rabenschwarz. Ich fürchte mich vor ihnen, und laufe, so schnell ich kann, aber egal wo ich hinkomme, sie sind schon da.“
Niclas presste das Handy fester ans Ohr. Emilys Atem ging schneller. „Em, alles okay? Hör zu, du musst nicht darüber reden, wenn du nicht möchtest.“
Erst kam keine Antwort, und er dachte schon, sie hätte ihn nicht gehört, als sie fast unhörbar flüsterte: „Sie sind überall, Niclas. Vor mir, hinter mir und ...“, ihr Atem flog jetzt regelrecht, und Niclas‘ Magen krampfte sich zusammen, „und dann, dann sind sie in mir.“
Er hörte das leise Schluchzen am anderen Ende der Leitung, und am liebsten hätte er das Handy gegen die Wand geschleudert. In ihr ... oh Gott. Er sah sie vor sich, ihr Gesicht, ihr Lächeln. Was haben sie mit dir gemacht, Emily? „Emily, wo bist du? Bist du bei deiner Tante?“
„Ja.“ Er hörte ein leises Schniefen, offenbar versuchte sie, die Tränen zurückzuhalten.
„Okay. Gib mir zehn Minuten, dann bin ich bei dir.“
„Was? Niclas, warte!“ Emily starrte auf das Handy, aber er hatte schon aufgelegt. „Nic.“
Er musste todmüde sein, offenbar machte ihm etwas schwer zu schaffen, aber dennoch kam er jetzt her zu ihr. Warum? Sie legte das Handy weg und stieg mit etwas wackeligen Knien aus dem Bett. Ob die anderen bereits schliefen? Sie öffnete leise die Zimmertür und schaute hinaus auf den Flur. Es brannte kein Licht mehr, also waren wohl alle im Bett. Sie lief im Dunkeln vorsichtig die Treppe nach unten, während Ben ihr auf dem Fuß folgte.
„Du musst still sein, wenn Niclas kommt, hörst du? Nicht bellen, sonst werden alle wach.“
Unten in der Küche stellte sie sich ans Fenster und sah hinaus, während sie Bens Kopf streichelte. Sie zitterte, denn sie hatte nur den dünnen Schlafanzug an und vergessen, sich etwas überzuziehen. „Nic, bitte fahr vorsichtig, es ist spät und du bist müde. Du hättest nicht kommen sollen.“ Sie lehnte die Stirn an die kühle Scheibe, und obwohl sie sich Sorgen um Niclas machte, war sie doch glücklich, dass er gleich da sein würde. Alles war viel leichter, wenn er bei ihr war. Sie starrte in die Dunkelheit und atmete erleichtert auf, als seine Maschine um die Ecke bog und er vor dem Grundstück stoppte.
„Niclas.“ Ohne darauf zu achten, dass sie nicht mal Schuhe, sondern nur Socken anhatte, lief Emily zur Tür und hinaus in den Garten. Ben hatte Niclas bereits erreicht, blieb aber gegen seine sonstige Gewohnheit still, sondern
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