Für immer, Emily (German Edition)
wäre ich nicht hier. Du bist der erste Mensch, dem ich so sehr vertraue, dass ich überhaupt darüber reden kann.“ Er schwieg, und Emily spürte, wie schwer es ihm fiel, weiterzusprechen. Sie saß still neben ihm und hielt seine Hand. Bilder aus der Anfangszeit, als sie sich kennen lernten, zogen vor ihr auf. Niclas … bildhübsch und unnahbar. Wie oft hatten seine Augen sie voller Arroganz gemustert, und doch hatte sie von Beginn an diesen Kummer in ihm gespürt. Diese Einsamkeit, die ihn umfangen gehalten hatte, und die er hinter seiner spöttischen, coolen Art verbergen wollte. Die meisten hatten ihm diese Art wohl auch abgekauft, aber sie nicht. Er hatte sie oft verletzt, aber sie konnte ihm nie wirklich böse sein. Weil sie unbewusst gespürt hatte, dass er es gar nicht so meinte, sondern nur versuchte, sein Innerstes zu schützen. Vielleicht weil sie selbst ebenso sehr versuchte, ihren Schmerz zu verbergen. Sie erinnerte sich an seinen Frust, den er an ihr ausließ, als er bemerkte, dass sie sich von seiner oftmals barschen Art nicht abschrecken ließ und ihn weiterhin mochte. Das war etwas gewesen, womit er zu Beginn überhaupt nicht hatte umgehen können. Ein Mädchen, das ihn einfach mochte, weil er so war, wie er war. Und das ihn nicht anhimmelte und ins Bett zerren wollte, sondern ehrliches Interesse an ihm als Mensch zeigte. Er war wirklich oft ziemlich gemein gewesen in seinem verzweifelten Bemühen, sie abzuwimmeln.
Sie streichelte zärtlich seinen Handrücken. Niclas betrachtete ihre zarte Hand in seiner, ihre zierlichen Finger, die sich fest um seine geschlossen hatten und die ihm so viel Halt gaben, wie noch niemals irgendetwas zuvor. Er wandte ihr das Gesicht zu und küsste sie sanft auf die Schläfe, bevor er sich einen Ruck gab. „Du erinnerst dich sicher daran, dass ich dir von meiner Mutter erzählt habe? Daran, dass sie bei einem Unfall starb?“
Emily nickte. „Ja, natürlich.“
„Es passierte am Tag nach meinem Geburtstag.“ Er umfasste ihre Hand fester, und sie lehnte ihre Wange an seine Schulter. „Ich hatte ein Fahrrad geschenkt bekommen. Ich weiß noch, wie sehr ich es mir gewünscht hatte und wie ich mich gefreut habe, als es tatsächlich da stand. Es war grün, so ein richtig knalliges Grün, weißt du. Ich war total stolz drauf.“ Er sah Emily an und lächelte.
Sie lächelte zurück, aber ihr Herz tat weh, denn noch niemals hatte sie soviel Schmerz und Wehmut in einem Lächeln gesehen, wie eben in diesem. Sie strich sanft über seine Wange. „Es war sicher ein tolles Rad.“
„Ja, das war es. An meinem Geburtstag hatte ich nur kurz damit fahren können, und so wollte ich es am Tag danach unbedingt richtig ausprobieren.“ Er drückte Emilys Hand noch einmal kurz, stand dann auf und stellte sich ans Fenster. Und draußen in der Dunkelheit sah er wieder den elfjährigen Jungen, der Feuer und Flamme für das neue Fahrrad war und unbedingt damit durch die Gegend kurven wollte. „Es war ein total verregneter Tag, es war kalt und neblig, man konnte kaum die Hand vor Augen erkennen. Aber das war mir egal, ich wollte raus und das Rad ausprobieren. Unbedingt.“ Niclas sprach jetzt fast wie zu sich selbst, und Emily beobachtete ihn besorgt. Er sah elend aus, und die Schatten um seine Augen schienen sich noch verstärkt zu haben. Zumindest kam es ihr so vor. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte ihn in die Arme genommen, aber sie wusste, sie musste ihn jetzt reden lassen.
„Meine Mom wollte nicht, dass ich rausgehe, sie sagte, ich solle warten, bis das Wetter besser werden würde. Es sei zu gefährlich mit dem Rad, die Autofahrer würden einen fast nicht erkennen können. Aber ich ließ nicht locker, bis sie endlich nachgab und mich gehen ließ.“ Niclas atmete tief durch und lehnte die Stirn an die kühle Scheibe. „Warum nur hab ich nicht auf sie gehört? Warum musste ich unbedingt meinen Kopf durchsetzen? Warum, Emily?“ Er wandte ihr sein Gesicht zu.
Emily erschrak über den Ausdruck von Selbsthass in seinen Augen. Sie fühlte, wie ihr die Tränen kamen. „Nic, du warst elf Jahre alt, da tut man nun mal manchmal Dinge, die nicht immer vernünftig sind.“
Er lachte bitter auf. „Nicht vernünftig, ja. Es war meine Schuld, Emily. Ganz allein meine Schuld. Verstehst du? Ich bin schuld daran, dass meine Mutter sterben musste.“
Emily fühlte den Herzschlag in ihrer Brust hämmern. Noch niemals hatte ihr Herz so wild geklopft wie in diesen Minuten. „Das
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