Für immer, Emily (German Edition)
kann nicht sein. Du warst elf Jahre alt. Ein Kind noch. Bitte, rede dir das nicht ein, bitte, tu das nicht.“ Ihre Stimme zitterte und sie fühlte einen fast unerträglichen Schmerz im Herzen.
Niclas lächelte wieder, doch es war ein solch bitteres und schmerzerfülltes Lächeln, dass Emily ein Schluchzen nicht mehr unterdrücken konnte. „Das muss ich mir nicht einreden, Emily. Das ist so. Ich bin also mit dem Rad hinaus. Meine Mutter hatte mir eingeschärft, nur auf den Wegen im Park zu fahren und pünktlich wieder zuhause zu sein. Aber ich war nicht pünktlich. Ich bin immer weiter herumgefahren und habe nicht auf die Uhr geschaut. Irgendwann hat meine Mom begonnen, nach mir zu suchen. Und um in den Park zu gelangen, musste sie ein Stück an der Straße entlanglaufen. Nur ein ganz kurzes Stück.“ Niclas stand jetzt völlig unbeweglich da, und Emily sah die Tränen in seinen Augen schimmern. Sie ballte die Hände zu Fäusten und biss sich auf die Lippen. Seine Schultern zuckten und sie streckte hilflos die Hände nach ihm aus, zog sie aber wieder zurück. Er musste das jetzt rauslassen, sonst würde es ihn irgendwann zerstören. „Was passierte dann, Niclas?“ Emily hatte ihre Stimme kaum unter Kontrolle, denn niemals hatte ihr etwas mehr wehgetan, als Niclas so zu sehen, voller Schmerz und Kummer.
„Der Wagen war zu schnell, der Fahrer hatte was getrunken. Er hat meine Mom viel zu spät gesehen und sie einfach über den Haufen gefahren. Ich war gerade auf dem Weg zurück nach Hause und habe gesehen, wie es passierte. Sie flog wie eine Puppe durch die Luft und stürzte auf die Wiese neben der Straße. Oh Gott.“ Seine Stimme brach fast, und er schlug sich mit beiden Fäusten gegen die Stirn.
Emily liefen die Tränen über die Wangen, sie hatte ihre Hand in Bens Fell gekrallt, der sich dicht neben sie gesetzt hatte.
„Ich hab sie sterben sehen, Emily. Ich kniete neben ihr und sie sah mich an. Blut lief aus ihrer Nase und sie flüsterte meinen Namen. Sie starb da auf diesem dreckigen, nassen Boden, viel zu jung und völlig sinnlos, und das nur, weil ich meinen Kopf durchsetzen musste.“ Niclas‘ Gesicht war schmerzverzerrt, als er nun hervorstieß: „Ich hätte es sein sollen, nicht sie. Es war meine Schuld, nicht ihre. Verstehst du jetzt, warum ich es nicht verdient habe, glücklich zu sein?“ Er wischte sich mit einer zornigen Bewegung die Tränen aus dem Gesicht.
Emily starrte ihn erschrocken an. Erschrocken über seine Worte und den Hass in seiner Stimme. Hass auf sich selbst. Sie schüttelte den Kopf. „Aber nein, nicht doch. Das war doch keine Absicht, du wolltest doch nicht, dass so etwas Schreckliches passiert. Das wolltest du doch nicht ...“
Niclas starrte sie mit Tränen in den Augen an und flüsterte kaum hörbar: „Nein, das wollte ich nicht. Aber das macht sie nicht wieder lebendig.“ Er senkte den Kopf, verbarg das Gesicht in den Händen, während sein Körper von heftigem Schluchzen geschüttelt wurde.
Emily dachte nun nicht mehr länger nach. Sie sprang auf, eilte zu ihm und schlang beide Arme um ihn. „Nicht, oh, bitte nicht. Es war nicht deine Schuld, das war es ganz bestimmt nicht.“ Sie spürte, wie sein Körper sich für einen Moment komplett versteifte und fürchtete schon, er würde sie von sich stoßen und sich wieder hinter seiner Mauer verschanzen. Doch er zog sie in seine Arme und presste sie so fest an sich, als ob er fürchtete, ohne sie jeden Halt zu verlieren. Er flüsterte erstickt ihren Namen.
Emily stellte sich auf die Zehenspitzen, zog seinen Kopf zu sich herunter und küsste seine feuchten Wangen, seinen Mund, seine Nase. Dabei liefen ihr selbst die Tränen über das Gesicht. „Mein armer Schatz. So lange schleppst du das schon mit dir herum. Mein Gott, Niclas.“ Sie legte ihren Arm um seine Taille. „Komm, setz dich. Setz dich auf die Couch. Gut so.“ Emily schlang beide Arme um Niclas‘ Nacken. Er schmiegte sein Gesicht in ihre Locken. Sie war immer noch völlig geschockt über diesen Selbsthass, der ihn beherrschte. So viele Jahre quälte er sich nun schon damit herum. Sie hielt ihn fest umschlungen, streichelte seinen Rücken und flüsterte leise, beruhigende Worte in sein Ohr, von denen sie nicht wusste, ob er sie überhaupt wahrnehmen würde. Die Szene damals im Klassensaal fiel ihr wieder ein, als Mr. Emmerson den Fahrradausflug vorgeschlagen hatte und Niclas‘ Miene völlig versteinerte. Jetzt wusste sie auch, warum. Alles, was mit
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