Für immer, Emily (German Edition)
sehen und solche Worte sprechen zu hören. Und in diesem Moment wurde ihm zum ersten Mal so richtig bewusst, wie tief verletzt sie wirklich war. Wie gedemütigt sie sich gefühlt haben musste, wie beschmutzt. Er hatte noch niemals mit einem Vergewaltigungsopfer zu tun gehabt und sich darüber nie Gedanken gemacht, man las so etwas ab und zu in der Zeitung und vergaß es wieder. Und nun wurde ihm mit aller Deutlichkeit bewusst, dass ein Mensch daran zerbrechen konnte und solch ein Erlebnis Wunden hinterließ, die vielleicht nie heilen würden. Bestenfalls würden schmerzende Narben zurückbleiben.
Ausgerechnet Emily musste so sehr leiden, und er wusste nicht, wie er ihr da durch helfen konnte. Ausgerechnet das Mädchen, das ihm das liebste auf der Welt war. Er brauchte sie doch auch. Er hatte in seinem ganzen Leben niemals jemanden mehr gebraucht als sie. Sie brachte soviel Wärme und Glück in sein Dasein, aber offensichtlich war ihr das überhaupt nicht klar. Er umfasste sanft ihren Kopf. „Em, sieh mich an! Sieh mich an, Kleines, bitte!“ Sie hob zögernd den Kopf und sah ihm in die Augen. Niclas strich ihr mit beiden Daumen die Tränen von den Wangen und beugte sich vor, um sie ganz vorsichtig zu küssen. „Emily, bitte denke nicht, dass du nicht gut für mich bist. Bitte nicht. Du bist das Beste, was mir je passiert ist. Und, glaub mir, ich brauche dich auch, mehr, als du dir vorstellen kannst. Niemand könnte mich jemals glücklicher machen, als du es tust. Ich liebe dich, und nichts kann daran etwas ändern, gar nichts. Was dir passiert ist, das war entsetzlich und grausam, aber es ändert nichts an meinen Gefühlen für dich. Nichts auf der Welt könnte daran jemals etwas ändern.“
Emily sah in Niclas‘ Augen, die ganz dunkel waren vor Kummer und Zorn. Sie sah, wie blass er geworden war, wie sehr er versuchte, sich für sie zusammenzureißen. Ihr wurde schlagartig klar, wie entsetzlich das für ihn sein musste, sie all diese Dinge sagen zu hören. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und schmiegte ihre Wange an seine, während sie immer noch leise schluchzend sagte: „Ich liebe dich auch. So sehr, Nic. Danke, dass du für mich da bist. Es tut mir leid, dass ich dir das zumute. Aber ich dachte, es sei wichtig, dass du es weißt. Vielleicht war das falsch, ich weiß nicht.“
Niclas schüttelte den Kopf. „Nein, du kannst mir alles sagen. Alles. Es ist nur ...“ Er schwieg kurz, dann stieß er heftig hervor: „Ich wünschte, wir hätten uns damals schon gekannt. Ich wünschte, ich wäre bei dir gewesen und all das wäre nicht passiert. Wenn ich dir das doch nur hätte ersparen können. Es gibt nichts, was ich dafür nicht tun würde.“
Emily löste sich ein wenig von ihm und strich mit beiden Händen über seine Wangen. „Das weiß ich doch, dass du alles dafür tun würdest. Aber wir können nun mal nicht ändern, was geschehen ist.“ Sie sah ihn an und erschrak über den Ausdruck von Zorn und Wut auf seinem Gesicht. Tränen schimmerten in seinen Augen. „Aber jetzt ist es vorbei, Emily. Ich werde alles tun, was ich nur kann, dass du damit zurechtkommst und wieder glücklich sein wirst. Niemals mehr wieder wird dir jemand wehtun. Nicht, solange ich es verhindern kann, das schwöre ich dir!“ Er zog sie an sich, und sie verharrten lange still und hielten sich fest. Sie ahnte, wie schlimm es für ihn war, zu hören, was ihr passiert war. Er liebte sie, außerdem war da noch das Trauma aus seiner Kindheit. Er hatte seine Mutter verloren und das nie wirklich verarbeiten können. Und er wollte nie jemanden lieben, aus Angst, ihn dann auch zu verlieren, und nun war ihm schon wieder auf grausame Art vor Augen geführt worden, wie zerbrechlich das Leben, und damit auch die Liebe, war.
Niclas strich Emily sanft über die Haare. „Wie geht es dir? Du zitterst immer noch. Möchtest du etwas trinken? Oder etwas essen?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich hätte es dir nicht erzählen sollen. Es war dumm von mir. Ich habe dir damit nur wehgetan, und es ändert ja nichts. Bitte entschuldige.“
„Das stimmt nicht, Emily, es war richtig, dass du es mir gesagt hast. Ja, es tut mir sogar verdammt weh, wenn ich darüber nachdenke, was mit dir passiert ist, aber ich bin froh, dass du es mir erzählt hast. Ich werde immer für dich da sein und möchte dir helfen, damit klarzukommen. Und das kann ich nur, wenn ich alles weiß.“ Er hielt kurz inne. „Ich bin froh, dass du genug Vertrauen zu mir
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