Für immer, Emily (German Edition)
vergaß nicht. Er vergaß es ihr und auch Niclas nicht, da war sie sich sicher.
„Gut, danke“, sagte sie und wandte sich wieder dem Kopiergerät zu. Eigentlich hatte sie noch einige Seiten zu kopieren, aber nun wollte sie nur noch hier raus. Sie konnte sich einfach nicht dagegen wehren, bei Roccos Anblick an die geifernde Fratze ihres Vergewaltigers denken zu müssen. Und durch seine ätzende Art machte er es ihr auch nicht gerade leichter. Er trat neben sie an das andere Kopiergerät und stellte seine Tasche ab.
„Bist du schon fertig? Wegen mir musst du dich nicht so beeilen. Oder wartet dein Lover auf dich?“ Er grinste.
Emily schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. „Ja, Niclas wartet auf mich.“ Sie raffte ihre Sachen zusammen und stopfte sie in den Rucksack. Dann wollte sie an Rocco vorbeigehen, doch der verstellte ihr den Weg. Sie hob den Blick und sah ihn ängstlich an.
„Irgendwie hab ich das Gefühl, Emily, du kannst mich nicht leiden. Vielleicht wegen der Sache mit der kleinen mexikanischen Ratte damals? Weißt du, du darfst das nicht so eng sehen, war doch nur ein Spaß. Vielleicht sollten wir beide uns mal ein bisschen besser kennen lernen, was meinst du? Ich bin nämlich eigentlich ein total netter Typ.“ Seine Augen fixierten sie spöttisch und sie hörte den Hohn in seiner Stimme.
„Ich ... ich weiß nicht. Ich muss jetzt gehen.“ Verflixt, sie konnte in der Nähe dieses Kerls kaum einen vernünftigen Satz denken, geschweige denn aussprechen. Sie versuchte, an ihm vorbeizukommen, aber urplötzlich packte er sie an den Oberarmen und drückte sie gegen die Wand. Emily schnappte nach Luft.
Er grinste. „Du bist ganz schön nervös, Mädchen. Irgendwas stimmt mit dir nicht, und ich wüsste nur zu gerne, was.“
„Mit mir stimmt alles, ich hab‘s nur eilig. Lass mich bitte los!“ Emily hasste sich dafür, dass ihre Stimme so zitterte, dass ihre Knie weich wie Pudding wurden, und sie sicher aussah wie ein verschrecktes Mäuschen. Typen wie Rocco musste man ganz anders entgegentreten, selbstbewusst und furchtlos. Aber sie hatte solche Angst ... solche Angst. Sie musste hier raus! Warum roch es hier plötzlich so nach Alkohol? Und hatte Rocco geraucht? Sein Atem stank nach Zigaretten. Oder nicht? Sie starrte ihn an, und seine Gesichtszüge zerflossen plötzlich und wurden zu einer Fratze des Schreckens. Emily schnappte panisch nach Luft und hatte das schreckliche Gefühl, zu ersticken.
Rocco sah sie merkwürdig an und stieß abfällig hervor: „Meine Güte, du hast echt ein Problem. Du willst mich also nicht näher kennen lernen? Auch gut, Pech für dich.“ Er ließ sie abrupt los und wandte sich um, dabei hob er den Arm und rammte urplötzlich seinen Ellenbogen grob in Emilys Gesicht.
Sie schrie erschrocken auf, ließ ihren Rucksack fallen und presste beide Hände an ihre rechte Wange. Dort, wo Rocco sie getroffen hatte, brannte ein höllischer Schmerz, direkt unter ihrem Auge.
„Hoppla. Das wollte ich jetzt aber nicht. Was läufst du auch in meinen ausgestreckten Arm? So was aber auch.“ Er lachte schallend.
Emily fühlte, wie Tränen in ihre Augen schossen. Erstens tat es verdammt weh, und sie merkte, wie etwas in ihrem Gesicht anschwoll. Und zweitens, weil sie sich so schrecklich gedemütigt fühlte. Sie wollte hier nur noch weg, packte ihre Sachen und stürzte an Rocco vorbei zur Tür, die in diesem Moment geöffnet wurde.
Dr. Smith erschien. Er warf einen prüfenden Blick auf Emily, die sich immer noch die Wange hielt, und sah dann zu Rocco. „Darf ich fragen, was hier los ist? Alles in Ordnung, Emily?“ Sie wich dem Blick des Lehrers aus und stammelte: „Ja, alles okay. Hab mich gestoßen. Entschuldigen Sie bitte, ich muss gehen.“ Auf keinen Fall wollte sie Dr. Smith von der Sache erzählen. Rocco würde sich sowieso herausreden, und sie hatte keine Kraft für solche Auseinandersetzungen. Obwohl ihr klar war, dass es nicht richtig war, ihn schon wieder davonkommen zu lassen. Außerdem trug sie immer noch diesen bescheuerten Ehrenkodex aus Grundschultagen in sich, der ihr sagte: Du darfst nicht petzen! Und so lief sie, ohne noch ein Wort zu sagen, an Dr. Smith vorbei, der ihr nachdenklich hinterher schaute.
Emily stürmte eilig durch die Flure zum Ausgang und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Sie war zornig auf Rocco, aber auch auf sich selbst. Warum hatte sie die Gelegenheit nicht ergriffen, ihm auch mal eins reinzuwürgen und Dr. Smith alles erzählt?
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