Für immer, Emily (German Edition)
wollte wieder nach einer Scherbe greifen, doch Niclas zog sie einfach mit sich hoch. „Ich mach das. Das ist doch nicht schlimm. Hörst du? Es ist nicht schlimm. Was ist denn passiert?“
Sie hob den Kopf und sah ihn an. „Da war jemand am Fenster. Ein Junge. Ich hab mich erschrocken und dann ist mir der Teller runter gefallen. Es tut mir leid.“
Niclas hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt und mit der anderen Hand strich er ihr sanft über die nasse Wange. „Ach herrje, das war Michael. Er ist der Sohn unserer Nachbarn. Er ist geistig ein wenig zurückgeblieben und kommt uns manchmal besuchen. Meistens kommt er über das Grundstück und klopft dann hier am Küchenfenster. Er ist völlig harmlos, Emily. Du musst dich nicht vor ihm fürchten.“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß, ich weiß. Ich verliere noch den Verstand. Es tut mir leid. Lass mich das saubermachen, bitte.“
Niclas sah sie bestürzt an. Sie war ja völlig durcheinander. Er sah, wie sie zitterte, sah die Tränen und diesen Ausdruck auf Emilys Gesicht, der ihm sagte, dass sie nicht mehr alleine weiterkonnte. Und ohne noch länger nachzudenken, zog er sie an sich. Sie ließ ihren Kopf an seine Schulter sinken, während er sie fest hielt. Und für diese schmerzvollen Sekunden war es für beide das Wichtigste auf der Welt, den anderen festzuhalten und ihm nahe zu sein.
Emily fühlte Niclas‘ Körper ganz nah an ihrem. Für einen Moment stockte ihr der Atem, doch dann wurde ihr trotz des eigenartigen Zustandes, in dem sie sich gerade befand, bewusst, dass dieses Gefühl wunderschön war. Da war keine Abwehr, kein Ekel, keine Panik, nur ein Gefühl von grenzenloser Geborgenheit und ... ja, was? Sie war erschöpft, durcheinander. Sie konnte dieses Gefühl jetzt nicht einordnen, sie war nur überglücklich, dass Niclas da war und sie festhielt. Sie fühlte seine Hand, die ihr sanft die Tränen aus dem Gesicht wischte und durch ihre Haare strich. Er murmelte leise, beruhigende Worte, und sie ließ sich in seine Fürsorge und seinen Trost hineinfallen.
Niclas hatte sehr wohl bemerkt, dass Emily kurz zusammengezuckt war, als er sie an sich gezogen hatte. Doch dann war ihr Körper sofort wieder weich und nachgiebig geworden. Es kam ihm so vor, als ob sie eben an einem emotionalen Abgrund gestanden und er sie gerade noch rechtzeitig hatte festhalten können.
„Schhhh, alles okay. Es ist alles gut. Alles wird wieder gut. Das hab ich dir schon mal gesagt, irgendwann wird alles wieder gut sein.“
Sie schluchzte wieder, und er musste aufpassen, denn ihre Stimme war leise wie ein Hauch. „Ich weiß nicht. Niclas ich ... manchmal hab ich das Gefühl, ich kann nicht mehr weiter. Ich kann einfach nicht mehr weiter.“
Er schwieg einen Moment bedrückt. „Doch, du kannst weiter, Emily. Ich helfe dir dabei, das verspreche ich dir. Du wirst nicht alleine sein, hörst du? Ich bin für dich da, wenn du das willst. Mara sowieso und deine Tante, dein Onkel. Und Ben, er wartet auf dich. Hörst du mir zu, Emily?“, fragte er.
Sie schluchzte wieder, nickte aber. „Ja. Ich ... ach, Niclas.“ Sie hob den Kopf, und der Ausdruck in ihren Augen traf ihn bis ins Mark.
Er umfasste sanft ihr Gesicht. „Wir müssen jetzt nicht weiter darüber reden. Das ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist, dass du zur Ruhe kommst. Alles Weitere wird sich finden. Aber du bist nicht alleine, Emily, vergiss das nie!“ Sie schaute ihn an und ihre Blicke verloren sich ineinander. Dann nickte sie. „Das werde ich nicht“, flüsterte sie.
„Okay, dann komm! Wir gehen nach oben, du hast mein Zimmer noch nicht gesehen.“
Er versuchte, gelassenen zu klingen, um es ihr leichter zu machen, sich wieder zu beruhigen. Leider gelang das nicht ganz so wie erhofft, aber sie schien in Gedanken sowieso weit weg zu sein und nicht wirklich zu realisieren, was um sie herum geschah.
Sie gingen langsam die Treppe nach oben, Niclas hielt Emily dabei fest im Arm. Sein Herz schlug heftig in seiner Brust, er fühlte sich unendlich hilflos. Was war nur mit diesem Mädchen? Noch nie hatte er jemanden gekannt, der so einen tiefen Schmerz in sich trug. Und noch niemals hatte er jemandem dringender helfen wollen, aber nicht die leiseste Ahnung gehabt, wie er das anstellen sollte.
„Die Küche, was ist, wenn dein Vater die Sauerei sieht?“ Emily klang verzagt.
„Mach dir darüber nur keine Gedanken. Das ist wirklich kein Problem, ich wische es nachher weg. Mein Vater kommt sowieso erst morgen
Weitere Kostenlose Bücher