Für immer, Emily (German Edition)
offenbar wollte sie nicht darüber sprechen, und er würde sie nicht drängen. „So, fertig. Wir können dann essen.“ Er goss die Spaghetti ab und füllte sie in die Teller. Dann gab er Soße darüber und stellte alles auf den Tisch.
„Danke, das sieht gut aus.“ Emily versuchte ein Lächeln, das jedoch ziemlich kläglich ausfiel. Sie hatte absolut keinen Hunger, im Gegenteil, ihr Magen fühlte sich an, als ob er mit einem Band abgeschnürt worden wäre. Dennoch wollte sie versuchen, ein wenig zu essen, Niclas hatte sich so viel Mühe gegeben.
„Na ja, wenn man schon viele Jahre mehr oder weniger selbst für sein Essen sorgen muss, lernt man so einiges.“ Niclas setzte sich ihr gegenüber und schenkte Wasser ein.
Emily nickte. „Ja, das kann ich mir vorstellen. Ich kann nicht gut kochen. Nur so ein paar Sachen. Aber seit ich hier wohne, hab ich auch schon ein bisschen was dazu gelernt.“
Er lächelte ihr zu. „Aber du backst gute Muffins. Das kann ich nicht.“
„Oh, ja, die Muffins. Die waren okay. Siehst du, da ergänzen wir uns ja ganz gut.“
Er sah sie nachdenklich an. „Ja, das finde ich auch.“
Emily probierte von den Spaghetti, sie schmeckten hervorragend, die Soße war würzig und doch nicht zu scharf. „Hm, die sind wirklich lecker.“ Sie bemühte sich, ihrer Stimme einen lockeren Klang zu geben, aber es wollte nicht so richtig gelingen.
„Super, das freut mich.“
Sie spürte, dass Niclas nicht genau wusste, wie er mit ihr umgehen sollte. Vermutlich wollte er sie ablenken, wusste aber nicht, wie. Und sie war viel zu durcheinander und damit beschäftigt, ihre Gefühle und Ängste unter Kontrolle zu halten, um es ihm leichter machen zu können. Seit dem Vorfall hatte sie sich nicht mehr so verängstigt und verwirrt gefühlt wie heute. Und das machte ihr Angst, denn es zeigte ihr, welch langen Weg sie noch vor sich hatte, und an eine seelische Genesung bei weitem noch nicht zu denken war. Sie meinte, dass sie es niemals schaffen werde. Diese Dunkelheit in ihr würde sie niemals loslassen. Sie schob den Teller zurück. „Entschuldige, ich kann nicht mehr essen. Es tut mir leid, du gibst dir solche Mühe, aber ...“ Sie brach ab und sah Niclas unglücklich an.
Er lächelte. „Kein Problem. Wirklich nicht.“ Er schob seinen Teller ebenfalls zurück und stand auf. „Ich bin auch fertig. Ich gehe mal schnell in den Keller und hole noch ein paar Flaschen Wasser. Bin gleich zurück.“
Emily nickte und stand auf, nachdem Niclas die Küche verlassen hatte. Sie würde wenigstens das Geschirr abräumen, wenn sie sonst schon nichts zum Verlauf des Abends beitragen konnte. Sie nahm Niclas‘ leeren Teller und wusch ihn unter fließendem Wasser ab, bevor sie ihn in die Spülmaschine räumte. Dann griff sie nach ihrem Teller, drehte sich wieder um und fuhr erschrocken zusammen ... am Fenster war ein Gesicht zu sehen. Jemand schaute in die Küche und klopfte an die Scheibe. Emily schrie entsetzt auf, der halbvolle Teller rutschte aus ihrer Hand und fiel mit einem lauten Scheppern auf die Fliesen. Sie wich einen Schritt zurück und stieß dabei gegen den Tisch, während sie mit weit aufgerissenen Augen zum Fenster starrte. Das runde Gesicht gehörte zweifellos einem Jungen, vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Seine Augen waren genauso erschrocken aufgerissen wie ihre, denn er hatte wohl nicht damit gerechnet, jemanden hier drin zu Tode zu erschrecken. Und so plötzlich, wie das Gesicht aufgetaucht war, verschwand es auch wieder. Emily presste die Hand auf ihr rasendes Herz, während ein trockenes Schluchzen in ihrer Kehle aufstieg. Ihre Nerven waren zu überreizt, um noch mehr Schrecken zu verkraften. Ihr Blick fiel auf den Teller, der am Boden zerschellt war. Überall war Tomatensoße verspritzt und hatte die hellen Fließen und auch die Schränke beschmutzt.
„Oh Mist, Mist.“ Sie hockte sich auf den Boden und begann automatisch, die Scherben zusammenzuräumen. Dabei zitterten ihre Hände jedoch so stark, dass sie die Scherben kaum festhalten konnte und sie fühlte, wie Tränen über ihre Wangen strömten.
„Emily! Was ist denn hier los?“
Sie hörte Niclas‘ Stimme, und gleich darauf kniete er neben ihr und umfasste ihre Handgelenke. „Komm, hör auf damit. Du schneidest dich noch.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich muss das wegräumen. Schau, es ist alles schmutzig. Es tut mir leid. Es tut mir so leid.“ Ihre Stimme ging jetzt in heftigem Schluchzen unter. Sie
Weitere Kostenlose Bücher