Für immer in Honig
mehr grüßen – das haben sie früher doch gemacht, oder habe ich sie immer zuerst gegrüßt? Keine Ahnung, bin aus meiner Arbeitswelt eigentlich komplett rausgefallen.
Mit dickem Kopf, wie im Dauerfieber, quäle und mogle ich mich durch einen Tag am Platz, redigiere, schreibe manchmal kleine Sachen – über das Filmfest zum Beispiel, über den Geburtstag dieses Produzenten, über irgendwelche, na: Sehenswürdigkeiten, die ich mit Valerie aufgesucht habe, damit sie und ich dort die eigentliche Sehenswürdigkeit sind –, bastle meine Seite, kümmere mich um Mails, weise alle Anfragen nach Texten für andere Öffentlichkeiten ab, an denen ich früher Spaß hatte, Katalogbeiträge, Reader, Vorträge, Short-Story-Anthologien. Rentner-Routine bis sechs, danach schleppt er sich wieder heim – abgezockt und halb getötet.
Manchmal steht was im Kalender, fast immer ein Date mit Valerie, die meiste Zeit aber versuche ich, diese große Lüge, mit der ich Judith vertrieben habe, irgendwie wenigstens nachträglich wahr werden zu lassen.
Was? Wer?
Ja: Ich schreibe jetzt wirklich ein Buch über den Valerie-Komplex.
Im Zuge der, vorsichtig ausgedrückt, sehr disparaten Schreibereien auf verstreuten Disketten, auf Dreckpapier, in die Innenumschläge von Büchern habe ich was Hübsches rausgefunden: mein Motiv.
Ich hab’ mich nämlich aus einem ganz anderen Grund auf das alles eingelassen als vermutet: Nicht um irgendeine Szene aufzurütteln, irgendwelche Leute zu skandalisieren oder Foucault und andere postmodern af fi gen Sexual- oder Überschreitungsfaselgrafen zu widerlegen, bei denen alles immer nur entweder Text oder blind begehrender Akt ist und die damit die reale wechselseitige Durchdringung der Ideen und der Risikenwelt zerquasseln, sondern einzig und allein, um mein inkonsequentes, lähmendes, folgenlos Texte auswerfendes Leben zum Einsturz zu bringen. Na? Na!
Was nicht heißt, daß es nur um den sturen Erlebnisbericht geht dabei.
Reflexion, so armselig sie ausfällt bei einem von Schla flos igkeit zerrütteten Verstand, kommt ebenfalls vor. Ich lese auch wieder mehr als vor Valerie. Unter anderem eine enorme Menge Foucault; die drei Bände über Sex nämlich, wieder und wieder, beziehungsweise – ich merke gerade, daß ich Dich ohne arge Absicht angelogen habe: Erstens geht es natürlich doch und sehr wohl um den sturen Erlebnisbericht, auch in dieser Mail, die vielleicht das Herzstück des Buches werden soll, aber zweitens besteht das Erlebnis eben auch im Lesen von Anti-Subjekt-Philosophie, die für mich den Zustand kennzeichnet, aus dem ich auf Gedeih und Blamage rauswill. Foucault, Lacan, Deleuze, lange aus meinem Leseprogramm verbannt, sind wieder fällig, während ich mich verkrümle aus mir. Wobei, drittens, genau betrachtet stimmt auch das wieder nicht. Von wegen Lacan und Deleuze: Ich lese nicht, wie gerade behauptet, »unter anderem auch eine enorme Menge Foucault«, sondern eigentlich nur noch ihn. Die ganze Zeit, jede Nacht, wieder und wieder, diese bescheuerten, hinter vorgehaltener Antikenhand üble Kloparolen für den modernen Selbstverachter ausgebenden Sexbüchlein, diese grundverlogene »Ordnung der Dinge«, diese in sich so absichtsvoll schillernd zerrissenen Bände »Schriften«.
Ich lese so viel von dem Stuß, daß ich beim Lesen immer wieder vergesse, was da steht. Es bleibt dann nur mehr der Sound , den ich aufnehme, und der sagt mir alles, was man über diesen großen Denker des »Endes des Menschen« biographisch inzwischen hat erfahren können, in deutlichen, grusligen Buchstaben: Selbstmordversuche, Drogenerfahrung, politische Irrfahrten, wahllose Begeisterung für alles irgendwie Danebene, schlimme Krankheit und elender Tod. Wer Augen hat, zu lesen, erkennt entsetzt, daß dieser Mensch sich nicht einmal selbst gehaßt hat, sondern verachtet.
Und jetzt kommt das Abartigste: Genau an diesem Punkt ist der Sound dieser Bücher, so gruslig er ist, zugleich extrem tröstlich für mich, weil er den Nerv meines wüsten Zustands trifft.
Lies sie nur mal selber nach, die hochnäsigfiesen Dekrete, die der schreckliche Mann als vermutlich ja doch oberstes personelles Zerfallsprodukt der linken Intelligenz Kontinentaleuropas nach dem Zweiten Weltkrieg andauernd erläßt: Daß es eine Unterdrückung der Sexualität ja eigentlich nicht mehr gebe, weil umgekehrt vielmehr ständig in exhibitionistischer Weise über Sex geredet werde, oder daß der Mensch, die Natur und das Leben erst
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