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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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können, bis dann die besagte Konferenz zu Potte kam. Das mache ich seit ein paar Wochen zwar sporadisch immer noch, dieses erste Telefonat um zehn führen – aber jetzt halt vom Handy aus, im Bett, mit immer neuen, längst lächerlichen und jämmerlichen Vorwänden: Habe hier Ärger mit Handwerkern in der Wohnung, bin aber um zwölf, halb eins bestimmt da, nach der Konferenz …
    Ich hatte früher, in meiner Kleinstadt, einen Mitschüler und Freund, Philip hieß er, der war sich nicht zu blöd dazu, zwei Jahre lang dreimal die Woche als Grund fürs Zuspätkommen diversen Lehrern zu erzählen, die Schranke am Bahnübergang auf seinem Schulweg sei halt unten gewesen, wegen ominöser Zugverspätungen, fast so was wie ein Mantra: »Die Schranke war unten«, wir haben ihn seinerzeit häufig deswegen aufgezogen. Meine Schranke heißt Valerie.
    Immerhin variiere ich die Ausreden: Meine S-Bahn fährt nicht … Der Heizungsableser kommt … Ich erwarte ein wichtiges Paket … Kein Frankfurter sagt mir so ganz direkt, was man in der Zentrale von dieser Entwicklung hält, ich weiß auch nicht, inwieweit man dort vielleicht sogar schon über Valerie spricht – wieso man das durchaus könnte, verrate ich gleich –, aber daß ich in Wirklichkeit jetzt viele Nächte einfach aufbleibe bis gegen fünf, obwohl Valerie natürlich unter der Woche um halb zehn, am Wochenende um elf, manchmal halb zwölf zuhause sein muß, das ahnen die Frankfurter längst. Die denken wahrscheinlich, die große ehrwürdige Journalistenkrankheit hält mich in den Klauen: der Alkoholismus.
    In Wirklichkeit … halt, erst noch das Ding mit der vermuteten Frankfurter Kenntnis von Valeries Existenz. Gott, ist diese Mail zerfahren! Aber ich werde sie nicht noch mal durchlesen. Ich schick sie Dir genau so, wie sie ist, das gibt ein akkurates Bild.
    Also: Meine Kollegen hier in Berlin gehören zwar nicht zur transgressiven Lebensstil-Rebellions-Boheme, aber anders als die in Frankfurt bewegen sie sich schon hin und wieder in deren Räumen, kommen da quasi als skalierbare Events vor. Denn erstens sind sie jünger als die gestandenen Altfeuilletonisten, unter denen ich während meiner Grundausbildung habe dienen dürfen, und zweitens ist Berlin eben Berlin, wo man auch als Vierzigjähriger irgendwann mitkriegt, welche Skandaljagdgründe auf der anderen Seite der Bahngleise zu finden sind. Mindestens zwei der hiesigen Kollegen, einer von der Medienredaktion und ein anderer, der sich mit Kino befaßt, haben mich und Valerie auf freier Wildbahn gesehen, der erste bei einer Party aus Anlaß des vierzigsten Geburtstags eines schwulen Erfolgsproduzenten einer doofen Jugend-Sitcom, der andere bei einem Alternativ-Filmfestival, in einem Kino am Hackeschen Markt, wo wir uns den Sex- und Kannibalismusschocker »Trouble every day« von dieser total brillanten Französin Claire Denis angeschaut haben (Valerie hat’s gut verkraftet, mir wurde schlecht, aber sie hielt mich am Arm fest, da durfte ich mir keine Blöße geben).
    Um also die Geschichte, die ich da angezettelt habe, auch nach dieser Flanke hin abzusichern und kohärent aussehen zu lassen, habe ich mir inzwischen auf meinen Büroschreibtisch ein Foto von Valerie im Bikini und mit nassen Haaren hingestellt, neben den Großbildschirm, und mir auch schon was zurechtgelegt, was ich, falls ertappt, stammeln will, wenn mich mal einer von den beiden fragt, oder sonst wer, der oder die was spitzgekriegt hat, wer das ist. Tut bloß bisher keiner, auch die beiden nicht, die uns »erwischt« haben. Ich nehme darum an, die denken sich lieber ihren Teil, und erzählen ihn vielleicht ja den Frankfurtern, am Telefon, oder in Mails. Paranoia! Mußte ja kommen.
    Was bin ich also, im Zwischenergebnis unseres Experiments?
    Verlassen, jede Nacht wach bis fünf Uhr früh, von fünf bis zehn im Schraubstock unruhigen Schlafs eingeklemmt, dann klingelt der ­Handy­wecker, ich grabsche das Ding vom Fußboden neben der Matratze im Arbeitszimmer – in dem Bett, in dem Judith und ich gemeinsam geschlafen haben, und aus dem ich vor ein paar Wochen sozusagen ausgezogen bin, kann ich jetzt, wo sie weg ist, erst recht nicht liegen – und brumme meinen Spruch, mein »die Schranke war unten« des Tages. Dann schalte ich das Plärrding ab und schlafe noch zwei Stunden, bis bei denen am Main die Konferenz fertig ist.
    Daraufhin haste ich ins Büro, wo mich, fällt mir grad beim Schreiben auf, weder der Pförtner noch die Feuilletonsekretärin

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