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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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massiven Abrutschen in die Proletarität bedrohte Klein- und Mittelbürgertum erfaßte; ein Land, in dem sich plötzlich sowjetartige Räte in den Betrieben, gerade auch den staatlichen, selbst gründeten, der unmittelbaren Nothilfe halber; das heißt, ein Land, in dem sich die Leute, alle jeweils zusammengesetzt aus anderen Leuten wie überall, bereits wirklich zu helfen anfingen.
    Dieses Land hatte einen Staatschef, der, wie Staatschefs solcher Länder das sollen, sich größte Mühe gab, mit dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, den reichen imperialistischen Zentren, soll heißen: den USA , der Bundesrepublik Deutschland und so weiter zusammenzuarbeiten. Dieser Staatschef, wie man sieht hauptverantwortlich fürs Ruhigstellen und Managen der soeben in zögernde, stotternde Bewegung geratenen Bevölkerung eines ausgeplünderten Landes, hieß Néstor Kirch­ner, und hatte seine liebe Mühe damit, in seinem schönen Argentinien für Ruhe und günstige Investitionsbedingungen zu sorgen.
    Nun die dumme Pointe zum dummen Witz: Aus Angst vor der Pfändung seines Dienstflugzeugs, der kleinen Airforce-One-Imitation, die ihm das letzte Restchen Wichtigkeitsgefühl verschaffte, dessen er in seiner Lage überhaupt noch habhaft werden konnte, hat dieser Mann einen geplanten Besuch in Deutschland absagen müssen, in einem Land also, wo sich die Toten schon immer unverfrorener regten, ja so unverfroren wie in Argentinien vorerst nur die Lebenden, obwohl auch dort immer häufiger von allerlei Verzweifelten in Träumen die weinende Frau gesehen wurde, auch dort, bei den großen Müllkippen der großen Städte, die Kadaver in den Schatten schlichen, auch dort, in den Wäldern, sich die Wiedergänger zusammenrotteten, auch dort, in den Städten, die Ordnungskräfte mindestens einen Drei-Fronten-Krieg führten: gegen die aus ihrem Stupor erwachenden Lebenden, gegen die zurückgekehrten Toten und gegen die W, die ebenfalls, in großer Zahl, damit anfingen, fürchterlich zu sich zu kommen.
    Noch war das Zombieproblem indes in Kirchners Land weniger viru­lent als in Deutschland, Frankreich, den USA oder Kanada. Interessanterweise gab es in Argentinien aber auch längst nicht so viele aufwen dig reanimierte Zombotiker, schon gar nicht in Verantwortungspositionen, wie in den genannten wohlhabenderen Staaten. Präsident Kirchner dachte über diesen doppelten Unterschied nicht nach; man bezahlte ihn nicht dafür. Wofür man ihn bezahlte, war ihm nach seinem Reisedebakel allerdings schon völlig unklar. Hatte er nicht besten Willen gezeigt? Hatte er nicht zwischen der Bevölkerung seines Landes und den ökonomischen Großmächten produktive Beziehungen stiften wollen?
    Vor Antritt der Reise hatte er in diesem Geiste das rotgrüne Regime in Berlin um etwas gebeten, eine Geste guten Willens nun auch ihrer seits: »hundertprozentige Garantien«, daß eine Pfändung des ­Dienstflug­zeugs »Tango 01« auf deutschem Boden ausgeschlossen sei. Zwar waren zahlreiche gegen Argentinien laufende Klage- und Vollstreckungsverfahren verschiedener Gläubiger vor deutschen Gerichten zu jener Zeit ohnehin ausgesetzt. Eine Pfändung schien somit höchst unwahrschein­lich. »Hundertprozentigen« Schutz gegen gerichtliche Pfändungsbeschlüsse aber, bedauerte Berlin, könne die Bundesregierung dem Argentinier nicht gewähren: »Wir haben hier eine Gewaltenteilung zwischen Gesetzgeber, Exekutive und Justiz, und die respektieren wir.« Schaden: ja. Spott: allerdings.
    »Anders als die Gebäude der diplomatischen Vertretungen genießt das übrige Staatseigentum Argentiniens in Deutschland keine Immunität – auch nicht das Dienstflugzeug des Präsidenten.« Früher in jenem Jahr hatte bereits das argentinische Segelschulschiff mit dem schönen Namen »Libertad« aus Angst vor möglicher Pfändung deutsche Häfen bereits gemieden. Den augenzwinkernd großzügigen Vorschlag, nur bis in die Schweiz zu fliegen und von dort eine Linienmaschine nach Berlin zu benutzen, wollte Kirchner dann aber doch nicht akzeptieren. Geplante Besuche in Italien und der Schweiz wurden nämlich ebenfalls abgesagt – auch in diesen Ländern hatte Argentinien Anleihen begeben. Kein Wunder: Zwei Jahre vorher wurde von Kirchners Land der bislang größte Zahlungsausfall eines souveränen Staates erklärt.
    Wir hätten es riechen müssen: So weit also waren wir, dieses demütigende Kasperletheater führten die reichen Länder mit ihren Satrapen auf, mit Leuten, die keineswegs

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