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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Zeugin, und zwar Jehovas, von ihren Mitschülern mißhandelt wurde, erst gehänselt, dann an den Haaren gezogen und so fort, weil sie nicht vernünftig polnisch katholisch war. Von da aus konnte ich, obwohl ich noch so jung und dumm war, ganz ordentlich hochrechnen, wie das mit den Juden wohl gemeint war. Auch das Sozioökonomische erlebte ich in höchster Bild aufl ösung, nämlich in Form der Erfahrung, daß eine Richterin, bei deren Familie ich unterkam, mit einem alten Gesetzbuch wirtschaften mußte, das ganz zerlesen war, genau wie der Sozialismus, und in das sie die Gesetzesänderungen, die sie per Sendschreiben erfuhr, selber von Hand mit Kugelschreiber nachtrug, einmal pro Woche. Nur eine einzige Schreibmaschine besaß das kleine Randstadtgericht, an dem sie arbeitete.
    So war das, damals in Polen.
    Ein großzügiges Stück Geschichte später, als es auf der Welt insgesamt soweit war, daß die Toten, deren Sitzwarmhalter die Besitzenden immer gewesen waren, allmählich in ihre älteren Rechte zu treten begannen, hätte man von Polen eigentlich wieder viel berichten können. Blutmagie und Fleischmagie sind älter als Wortmagie und Titelmagie, wenn sie sich bemerkbar machen, wird es lustig.
    Nehmen wir die Geschichte von den zehntausend Bergarbeitern.
    Die waren natürlich schmutziger als Walesas solidarische Jungs von den Werften, aber doch auch malerische Proleten, und demonstrierten nun also in Warschau samt ihren Familien gegen Zechenstillegungen, während in Deutschland gerade überlegt wurde, ein Zentrum für Revanchismus zu errichten und die gründlich kulturalisierten, nationalistisch getönten polnischen Medien darüber, inzwischen durchaus ­wieder deutschenfeindlicher als meine jungen Gastgeberinnen und Gastgeber zwölf Jahre früher, natürlich lieber berichteten als über die Parole der Kumpels: »Macht die Regierung dicht – nicht die Gruben!«
    Beteiligt an der Großdemonstration waren – »Solidarität ist keine Einbahnstraße« (Helmut Kohl) – nicht nur Bergarbeiter der unmittelbar von Stillegung bedrohten Zechen, sondern solche aus dem gesamten Gebiet, welches in den geplanten Dokumentationen des geplanten Zentrums für Revanchismus gewiß »Oberschlesien« heißen würde.
    Der Zug der Wütenden wälzte sich von peripheren Plätzen her, ganz allmählich zusammenströmend, bis zum Sitz der Regierungspartei und zum Mißwirtschaftsministerium. Weil es sich bei den Wütenden um brave Kumpel handelte, die am liebsten geradeaus dachten statt interessant um die Ecke, forderten sie hauptsächlich die Einhaltung von Zusagen, welche die Regierung längst gemacht hatte.
    Das Problem dabei war freilich, daß die Regierung so ganz ungebunden souverän, wie sich die Wütenden das dachten, gar nicht schalten konnte, auch wenn die bösen Russen verschwunden waren, die ihnen früher alles vorgeschrieben hatten.
    1990 waren im polnischen Bergbau noch 387.900 Kumpel beschäftigt. Ende der 90er Jahre begann unterm Diktat eines ersten Weltbank-Kredits der Kahlschlag.
    2001 gab es noch 146.000 Bergbaubeschäftigte. Angesichts wachsender Proteste versprach die Regierung Ende 2002, daß es keine weiteren Zechenstillegungen aus wirtschaftlichen Gründen geben werde. Das geschah in Verbindung mit dem EU-Beitrittsverfahren und einem zweiten Weltbankkredit für 2003 bis 2005. Im Juli 2003 beschloß die Regierung im Rahmen eines zweiten sogenannten Umstrukturierungsprogramms dann aber doch die Stillegung von vier Zechen der zu Zwecken wie diesem gegründeten staatlichen Bergbaugesellschaft »Kompania Weglowa«.
    Deshalb die Demo, deshalb der Ärger, deshalb die argentinischen Sprechchöre und Klapperumzüge, die unruhigen Nächte, die ober schlesischen Sichtungen von unheimlichen Wesen, welche nervöse Funktionäre der Kompania Weglowa nachts besuchten und auch schon mal den einen oder anderen davon blutleer, klamm und tot zurückließen.
    Was wir Vampir nennen und mit V statt mit W schreiben, hatte im ka tholischen Polen vor langer Zeit den Namen »Upior« angenommen, ein »Upier« war ein männliches, »Upierzyca« hieß das weibliche Exemplar, und im Gegensatz zu den nobleren transsylvanischen Verwandten waren diese Biester traditionell kaum satt zu kriegen. Vernichtete man einen Upior, war schon die Matscherei beachtlich.
    Exorzisten, Kampfnonnen und andere Vertreter klerikaler Bodentruppen legten daher zur Zeit der Bergbaukrawalle in den ländlichen Regionen Polens zahlreiche Überstunden ein, berichteten nach

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