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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Ehefrauen, die Arbeitslosigkeit, die Zukunft, von der man nämlich eh nichts wußte, Moloch, Einsamkeit, Schmutz, Aschenbecher, unerreichbare Scheine mit ganz viel Euro Betrag als Wert, schreiende Kinder unter der Treppe, schluchzende Jungs in der Armee in fernen Ländern, alte Männer, die im Park weinten.
    Sie hätten, als Astrid gekommen war, dort gern zusammen einschlafen wollen und erst aufwachen, wenn schon Sterne funkeln würden. Aber es klingelte in dem Moment auf Astrids ausgezogener Jeansjacke am See das Handy, und der Traum verschwand, im Dachsbau zwischen Farnen.
    2  Das Land, in das Philip Klatt zurückgefunden hatte, um sich dort hinzulegen, träumte mit offenen Augen, die sich auch nachts nicht schließen wollten.
    Es träumte, daß bald wieder Kalter Markt – »Chalde Märt« – sein würde: mit der Boxautoanlage auf dem Rathausplatz, den Bratwurst- und Lebkuchenbuden, den Schießständen und Zuckerwatteverkäufern, den Büdchen, wo es Spielsachen gab, vor allem das aus den regulären Spielwarenläden weitgehend verbannte billige Kriegsspielzeug, die ratternden MP s und im Dunkeln leuchtenden Plastikkampfmesser, die Panzer und Hubschrauber. Auch Lederarmbänder und Heavy-Metal-Aufnäher würde man kaufen können, Glasbläsernippes, Holz, Kerzenskulpturen, Buddha, Drachen, überall in der Altstadt, Torstraße, Wallstraße, Entegaststraße.
    Die Gegend träumte, daß das Christkind bald darauf auch wiederkommen würde, und die schönen Mädchen, eine hatte ein hübsches Gesicht, und zwei oder drei hatten Zauber, aber Zauber und Gesichtchen nützen nichts, denn das Gras der Wiese am Hang muß die Form behalten, die den Berghasen verrät, der da gelegen hat, und das Christkind kann den Arbeitslosen nicht helfen.
    Das Reifenwerk, es schlingerte.
    Die GmbH für Automatisierungs- und Fördertechnik hatte den Hauptsitz hier im Industriegebietchen und eine Niederlassung in Bautzen, fast 200 Mitarbeiter übers gesamte Universum verstreut, aber die wirklich wichtigen hundert, die das Kerngeschäft besorgten, dann doch eher hier, und der Fremdenführer gab an, was die GmbH alles fertigbrachte: »Transportieren, Ein- und Auslagern, Kommissionieren, Heben, Senken, Kippen und Positionieren.« Damit hatte man international Erfolg, genauso wie die Maschinenfabrik für Rohrschweißanlagen dicht unterm großen Bergbrocken, auf dessen Wiese der Berghase lag und Haschisch rauchte, das er bei den Fahrradständern vom Gymnasium gekauft hatte. Ein schönes neumodisches Haus mit drei Stockwerken für die Magnettechnik gab es in der Nähe, hier wurde neuerdings wieder stärker outgesourcet, manchmal auch geoutsourcet, je nach Konjunkturscheiß. Ähnlich stand alles bei den Leuten von der Rühr- und Mischtechnik und denen, die nah beim Bahndamm hauchdünne Schutzschichten für Großwerkzeuge machten, und bei den andern armen Hunden, die Kompressoren und Vakuumpumpen anfertigten, nach genialem Prinzip, wird aber nicht verraten. So langsam fiel halt alles auseinander.
    Gedreht und gedreht ganz schwindlig im sich weitenden Spiralflug konnte der Falke ( falco peregrinus starb allmählich aus, weil in der Nahrung viele Biozide sich tummelten, aber Philip hatte vor kurzem erst einen fliegen gesehen, auf dem Fußweg vom Käppele zur Hohen Birke, wo Astrid auf ihn wartete, mit einem richtigen Picknickkorb) den Falkner nicht mehr hören. Magnettechnik hin, Mischtechnik her, dünne Schichten wieder retour und alles im Spiralflug des Falken abwärts: Es war und wurde immer noch alles immer schlimmer als wie immer: »In der Tat, seit 1825, wo die erste allgemeine Krisis ausbrach, geht die ganze industrielle und kommerzielle Welt, die Produktion und der Austausch sämtlicher zivilisierter Völker und ihrer mehr oder weniger barbarischen Anhängsel so ziemlich alle zehn Jahre einmal aus den Fugen. Der Verkehr stockt, die Märkte sind überfüllt, die Produkte liegen da, ebenso massenhaft wie unabsetzbar, das bare Geld wird unsichtbar, der Kredit verschwindet, die Fabriken stehen still, die arbeitenden Massen ermangeln der Lebensmittel, weil sie zu viel Lebensmittel produziert haben, Bankrott folgt auf Bankrott, Zwangsverkauf auf Zwangsverkauf. Jahrelang dauert die Stockung, Produktivkräfte wie Produkte werden massenhaft vergeudet und zerstört, bis die aufgehäuften Warenmassen unter größerer oder geringerer Entwertung endlich abfließen, bis Produktion und Austausch allmählich wieder in Gang kommen. Nach und nach beschleunigt sich

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