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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Verletzung beigebracht hatten, wirklich ziehen. Warum verließ also Schacko die Stadt nicht? Wegen des tendenziellen Falls der Profitrate. Der Chalde Märt war zu verlockend, zu attraktiv schien die Aussicht, rasch noch einmal was reinzuholen. Auf diesem Markt nämlich war in den letzten fünf Jahren immer viel gegangen, darauf konnte man bauen, selbst wenn es dieses Jahr weniger werden würde, in absoluten Zahlen, so doch mehr als im ganzen übrigen Jahr. Schließlich hatte sich so vieles auch gerade nicht geändert, und würde anderswo jedenfalls nicht anders oder gar besser sein.
    Der Zeithintergrund brodelte und gärte: Überall wurden Aufrichtigkeit und Unschuld von Wirklichkeit gestört, den Besten selbst in des Dokters Truppe, etwa Astrid Riedler, fehlte es an jeder Überzeugung, die waren nur dabei, weil sie jemand bezahlte, die Schlechtesten dagegen schmachteten voll leidenschaftlicher Hingabe irgendwelchen Gewaltausbrüchen entgegen, die alles erledigen sollten, auch nicht gerade erfreulich. Wenn man in der Stadt blieb, bis der Spuk aufhörte … denn der Spuk mußte aufhören, dachte Schacko.
    »Ich kann darauf nicht warten«, sagte ihm indes ein O ffizi er der Russenmafia in Basel, als Schacko dort neues Zeug holen wollte.
    »Ich verkauf’ nichts mehr an Leute aus eurem Nest«, erklärte mit Bestimmtheit dieser Russe, der ungewöhnlicherweise ein Muslim war. Sein Name lautete Machmud Abdullajew. Er war vierundsechzig Jahre alt und stammte aus Tadschikistan, wo er als junger Mann eine Zeitlang Baggerführer gewesen war, im Sozialismus.
    Die Leute damals, dort, hatten eine andere Wirtschaft basteln wollen, ohne zyklische Krisen, ohne strukturelle Systemschranke am Ende der schwindligen Schraube unten, wo alle endlich arbeitslos sein müßten oder Sklaven. Als führende Projektierungsinstitute der UdSSR Anfang der dreißiger Jahre, unter Stalin also, die Arbeit an den Zeichnun gen für das Nurek-Wasserkraftwerk in Abdullajews Gegend abgeschlossen hatten, wurden aus dem Unionshaushalt die für den Bau notwendigen Mittel bereitgestellt. Man brauchte aber auch erfahrene Fachkräfte, die es damals in Tadschikistan nicht gab. Aus allen Teilen des Landes strömten deshalb schleunigst Bauarbeiter zum Nurek. Sie arbeiteten fleißig wie die Biber und halfen gleichzeitig der Republik, eigene qualifizierte Arbeiter auszubilden. Viele von ihnen lernten abends und in ihrer Freizeit Tadschiken an und vermittelten ihnen Kenntnisse. Ihre Schüler waren Machmud Abdullajews Vorfahren gewesen. Später entstand auf der Grundlage dieser improvisierten Lehrgänge nämlich eine Fachschule, an der Machmud im Jahre 1970 eine Ausbildung zum Planierraupenführer beendete. Dann lernte er auch den Beruf eines Schlossers und den eines Baggerführers. Gebrauchen konnte er dann schließlich nichts davon.
    Manchmal wachte er heutzutage aus seinem Schlaf auf, der auch der Schlaf der Gegend war, die er nun bewohnte. Wenn er so hochfuhr, im Bett, war er jedesmal sehr erschrocken und dachte, bestimmt kommt eine Offenbarung doch ganz bald, bestimmt kehrt etwas Scheußliches wieder zurück, mit dem wir nicht gerechnet hatten. Die Vorfahren aus Tadschikistan? Die Toten von hier?
    Die, die uns etwas lehren, oder die, die uns fressen wollen?
    Kaum war so ein Gedanke da, schon erschien, von der Weltseele ausgespuckt, vor Abdullajews schwitzendem Gesicht ein Bild: Irgendwo in den Wüstensandgebirgen bewegte eine Gestalt mit einem Löwenkörper und dem Kopf des Osama Bin Laden, mit einem Blick so leer und mitleidlos wie die Sonne, ihre langsamen Schenkel, während darüber die Schatten der Wüstenvögel durch die Hitze taumelten.
    Nach solcher Schau sank dann meist gnädig neue Dunkelheit über den hellseherischen Blick des Machmud Abdullajew, der wußte, daß er den nächsten Jahreswechsel samt voraufgehender Weihnachtszeit nicht unbedingt in Mitteleuropa erleben wollte, aber auch, daß er keine Alternative dazu hatte, genau das zu tun.
    »Vergiß es. Von mir kriegst du nix mehr«, sagte der Drogengroß­händler also zum Drogenkleinerhändler, und der Drogenkleinerhändler begriff: Ich muß mir, bevor der Chalde Märt losgeht und das Christkind wiederkommt, wohl von woanders Zeug besorgen. Während er dies zu sich selbst redete, im Zug von Basel nach Zell, den er am Bahnhof der kleinen bösen Stadt verlassen würde, war die Gegend dabei, aus ihrem langen Schlaf aufzuwachen:
    Am Rand der Mülldeponie nahe Enkenstein wurde ein menschlicher Leichnam

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