Für immer in Honig
sammelte er Sachbücher von Psychiatern, FBI -Profilern und journalistischen Splatterverwaltern, Zeitungsartikel und Bilderbücher über die Großen der Zunft, mit denen sich zu identifizieren ihm sein Dasein erträglich machte: satanistisch verwirrte Teenager, die irgendwo im deutschen Osten einen Mitschüler stranguliert hatten, den hodenkauenden Kannibalen von Hessen, der – angeblich mit dessen Einverständnis – einen Geschäftsmann zerstückelt und teilweise aufgegessen hatte, und natürlich die transatlantischen Superstars wie Jeffrey Dahmer und Richard Speck, die wie am Fließband Mädels und Buben geschlitzt, Anhalterinnen erwürgt oder auch mal ein paar Krankenschwestern abgestochen hatten.
So war denn leider auch das Lied nur aus Klischees gebaut, das er seinen Messern vorsang: den teuren, in Jagdgeschäften und Sicher heitsshops erstandenen Sammlerstücken von Mission Knives, Blade Tech oder Walter Brend, den Schnitz-, Taucher- und Integralmessern, die er sich in Gurten um die Arme und Beine band, wenn er auf die kleine Welt losging, die ihm erreichbar war, wie heute abend.
Aber heute, dieses erste und einzige Mal, war seine verhaltene Erregung ganz und gar gerechtfertigt.
Denn heute sollte er ein Geschäft besorgen, das bedeutsam war. Alles neu: Nicht einmal dem Ehemuff war er bei seinen bisherigen Eskapaden ins Blutige entkommen, denn sein absurdestes Geheimnis lautete: Margarete, seit Jahren Komplizin. Sie half ihm längst auf ihre Weise, peinliche Spuren loszuwerden.
Ein Lied, ein Murmeln, den Messern vorgemacht. Erst das Übliche: »Schnitzel schnitzen … ich weiß was … Schneideschnabel …«, dann aber ging das langsam über in etwas, das nicht aus seinem Kopf kam: »Schnitter … schnipp, schnapp, Schutzanzug … ich banne … ich bade … ich bekreuzige dich, Sarah, bekreuzige dich, Christina, bekreuzige dich, Robert und Philip und Jennifer, Svenja und Cordula, wie du auch im äh … einzelnen … heißen magst … schnippel … schnappe dich … Belandante, Malandante, auf daß du weder etwas sagen noch tun darfst, bevor du nicht die Flachsbündel, die … Dolme… Dome… Dornen des Schlehdorns, die Wellen des Meeres gezählt hast, auf daß du … schnipp! … weder etwas sagen noch tun darfst, weder von dir noch von einem christlich Getauften … aus anderen Leuten … zusammengesetzten … jetzt will sie regieren … sie liebt sie, sie liebt sie nicht, sie schnippst sie, sie schnappt sie nicht. Schnipp. Und dann auch, äh: Scheiße!«
Er hatte sich in den Daumen geschnitten. Ein Fusselchen aus Blut leuchtete im Fleisch. Es war das erste omenrote Winzchen von dem Zeug, für heute abend.
Der Tanz konnte losgehen.
2 Straßenlampen, Sterne, Stromversorgungskästen, Unterstände an Haltestellen, Mondlichtreflexe, geparkte Autos ohne Zahl, alle grau, alle gleich, ob grün ob rot, bei Nacht alle Katzen, Fahrräder an den Betonpfeilern, die zopfig ihre metallen aschfarbenen Leitungen trugen, für die Straßenbahn: Das völlig Normale wischte, seit Torsten sich das Treppenhaus vor Sarahs Geheimwohnung hinuntergestürzt hatte, so wie ein Selbstmörder in eine Schlucht hinunterhechtet, verweht substanzlos glatt an ihm vorbei – eine Diashow auf Koks, die den Verstand verloren hatte.
Torsten Herbst rannte, fiel, eine menschliche Windhose aus Torkelenergie, fortwährend nach vorn, im gestreckten Laufen. Er wußte, daß er sich in Lebensgefahr brachte mit diesem kop flos en Gerenne durch die verfinsterte Stadt, daß er eine Nacht bestürmte, die sich ihm nicht ergeben würde, aber ihn verschlucken konnte. Es kümmerte ihn nicht. Der Traum vom grif fi geren Leben war nämlich sowieso tot, die Zeit früher zerrissen als im Albtraum erwartet. Ich werde ihre Farben nicht tragen, ich werde nicht für sie bluten, ich bin aufgewacht, und es ist schlimmer, als zu schlafen, egal wie unruhig.
Die Zunge hing ihm trocken aus dem Mund, die Oberlippe war zurückgezogen: fletschender Hund. Durch die Nase saugte Torsten feuerflüssigen Atem, ab und zu spuckte er einen Bissen Altluft aus wie Auspuffgase. Kaum berührten die Turnschuhsohlen des Rasenden noch den Asphalt, er flog, Ikaride mit schmerzhaft stoßweise durch die Hauptschlagadern pumpendem Blut, hämmerndem Herzen.
Bei einer dieser Kreuzungsüberquerungen würde bald ein Taxi aus dem Dunkel auftauchen, oder eine Mülltonne an der falschen Stelle stehen, oder ein Obdachloser liegen, über den der horizontal durch die Stadt Stürzende
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