Für immer in Honig
faßte in seine Hosentasche, um die Fahrkarte hervorzuholen. Er beabsichtigte, das vom DB -Automaten ausgedruckte Papierchen mit dem Silberrand seinen Peinigern zu zeigen, als wäre es eine Art Passierschein in ein besseres Leben, oder wenigstens ein Dokument, das ihm Immunität verlieh, gegen Mißhandlungen vor allem.
Bernd, Schorsch und auch der Dokter lachten. Gina Weil spuckte dem armen Schwein ins Gesicht. »Du hasch en Fehler g’macht«, sagte die dicke Frau, »du hättsch nix mehr saufe solle, bevor d’abhausch.«
»Was Gina dir beizubringen versucht – nicht, daß es nicht ohnehin zu spät dafür wäre«, erläuterte Rainer Utzer und erhob sich langsam von seinem Stuhl an der Theke der »Sonnenblume«, in die ein grausames Geschick und schiere Dummheit das arme Schwein vor seiner Abreise an diesem kühlen Abend geführt hatten, »ist, daß es manchmal zugeht wie beim Monopoly, im Leben: Gehen Sie nicht über Los, ziehen Sie keine zwei Salzstangen und kein Bierchen mehr ein, machen Sie lieber, daß Sie weiterkommen.«
Schorsch schlug mit der Faust in die flache Hand, rhythmisch, das hatte er mal bei einem Schläger im Fernsehen gesehen. Das arme Schwein schwitzte erbärmlich.
Das arme Schwein hieß Peter und hatte seinen einzigen Freund, den alle Schacko nannten, seit der Prügelei vor dem Treff nicht mehr gesehen. Peters Wohnung war von Astrid und Bernd noch am selben Abend zerlegt worden. Wo er in der Zwischenzeit untergekommen war – vielleicht bei Junkies, die er mit Zeug versorgt hatte; in einem der Dörfer im Umland gab es eine WG , die in dieser Hinsicht durchaus in Frage kam –, wußte niemand genau, ganz besonders nicht der Dokter.
Warum Peter so lange gewartet hatte, endgültig aus der Stadt zu verschwinden, konnte Utzer sich indessen denken: Es hatten noch ein paar Leute Schulden bei ihm, und weil er selbst einiges an Schulden in Freiburg, Straßburg und Basel hatte, mußte er dieses Geld, auch ohne Schackos Hilfe, irgendwie eintreiben. Das war ihm mittlerweile entweder gelungen oder er hatte es aufgegeben – welches von beiden, interessierte Rainer Utzer sehr: »Hast du eigentlich deine Geschäfte hier alle noch sauber abgeschlossen, oder hängen irgendwo lose Enden, derer wir uns annehmen könnten?«
»Ich … ich … ich ha…«, stammelte Peter im Zurückweichen. Als er an den Stuhl eines dicken Gartenarbeiters aus dem nahen Stadtpark stieß, sah der Peter nicht an, brummte jedoch gereizt: »Paß doch uff, wo de latsch!«
»Auch dieser Ratschlag kommt zu spät.« Der Dokter seufzte. Gina griff nach Peters Kragen.
Der Dealer duckte sich, drehte sich zur Seite und rief: »Des … das könnt ihr nicht machen, wir sind hier mitten unter … bei …«
»Stört das jemanden, wenn wir mit unserem Freund hier was bereden, und es dabei vielleicht ein bißchen laut wird?« fragte der Dokter in den Raum. Die Stimme trug sehr weit, kaum jemand im stillgewordenen Raum redete gerade anderes. Der Mann am Zapfhahn wechselte einen Blick mit der Kellnerin, die mitten in der Bewegung erstarrt war, einen Teller mit Bratwurst und Pommes Frites auf der Hand balancierend, auf dem Weg zu dem Gast, der das bestellt hatte. Dann bemerkte der Wirt, daß der Dokter ihn fixierte, und sagte kleinlaut, aber in der Pose des großen Durchblickers: »Hinten. Im Hinterzimmer.«
»Schön«, der Dokter war ehrlich erfreut.
Peter erkannte seine letzte Chance, wandte sich von seinen Bedrängern ab und versuchte, zur Türe zu rennen. Er kam genau zwei Schritte weit, dann fiel er über ein ausgestrecktes Bein.
»Ja, leck mich doch am Arsch!« lachte Bernd, und Schorsch schüttelte im Näherkommen den Kopf: »Den hätt’ ich ja fast nicht erkannt. Meckie Messer!«
Andy Witter, Ex-Punk, sah in der Tat anders aus als früher: die Haare kurz und glatt, in der Mitte leicht gescheitelt. Keine zerschrabbelte Plastiklederjacke mehr, keine schwarzen Jeans, sondern modische Armeehosen und einen blauen Sweater trug er jetzt, grüne Turnschuhe und eine saubere, neue Stonewashed-Jacke.
Bernd und Schorsch hoben den Wimmernden hoch. »Nit no emol in d’ Hos’ seiche, wenn’s goht!« mahnte der Picklige. Der Dicke packte Peter im Genick. Rechts und links wurden Stühle beiseite gerückt, damit die Nazis durchkonnten, zum Hinterzimmer.
Gina hielt ihren Kameraden die Tür auf. Der Dokter aber hob die fadendünne rechte Augenbraue, tat einen Schritt zu Andy hin und sagte: »Du hast Dealer nie leiden können, stimmt’s, mein
Weitere Kostenlose Bücher