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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Sohn?«
    Andy erwiderte: »Ich trink’ hier bloß so meine Cola und denk’ drüber nach, wo meine Freunde sind.«
    »Und, wo sind sie?«
    »Weg. Umgezogen. Tot.«
    »Klingt nach Kriegsheimkehrer.«
    »So fühl’ ich mich auch. Und deswegen überlege ich, ob ich mir nicht langsam mal neue Freunde suchen soll.«
    »Und wieso willst du jetzt, wenn ich das hier richtig deute, ausgerechnet zu denen gehören, die dir eben noch den Arsch versohlt haben?«
    »Weil ich es satt habe, immer den Arsch versohlt zu kriegen. Weil ich eh kein Abi machen werd’. Weil meine Freundin sich in Luft aufgelöst hat. Da, wo sie gewesen ist, gibt’s jetzt ganz neu irgendeine verpisste Julia, die ich nicht kenn’.«
    »Er will nicht mehr verprügelt und verlassen werden«, sagte der Dokter träumerisch, als diktierte er es jemandem, für ein Büchlein mit ­brand­aktuellen Minima Moralia. Es war aber eigentlich gar keine philosophische Bemerkung, sondern die Annahme eines Aufnahmegesuchs.
    So ging das, und darum.

ACHTZEHNTES KAPITEL
    Vaters Finger • Torsten Herbst auf der Flucht • Mutters Mund • Torsten kommt zur Ruhe
    1  »Ich weiß nämlich was. Sie sind lebendig.« Dies sagte Peter Thiel beim Reinigen der Messer, preßte und pfiff es leise zwischen seinen Zähnen hervor. Ein wirkliches Geheimnis war ihm in jüngster Zeit bekannt geworden: Messer waren Lebewesen.
    Natürlich mußte das, was sie lebendig machte, auch verankert sein in Physik, das heißt Technik, guter Verarbeitung: Dieser Korkenzieher, den er neulich hatte benutzen müssen, weil sich der Bub in seine Hand verbissen hatte und anders, etwa mit normalen Klingenstichen, nicht kaputtzumachen gewesen wäre, verdankte seine Nützlichkeit halt der gedrehten Form, dem schwungwollen Haken am Haken am Haken an der Sache. Und Thiels überhaupt liebste Klinge, die er jetzt schon seit zehn Minuten putzte, ein taktisches Armee-Kampfmesser mit Sperrfeder-Verriegelung, war sogar ein Gedicht, das richtig einzuschätzen die meisten nicht ganz so numinos wie Thiel beseelten Jäger und Sammler hoffnungslos überfordert hätte: Backen aus anodisiertem Titan, Griffschalen aus Micarte, gefertigt 1983, einwandfreies Klingenlager, immer noch, kaum angegriffene Schneide, saubere Klinge und ein Griff, der Peter Thiels fleißige Hand jedesmal beglückwünschte, wenn sie es an sich nahm: Gut genug bist nur du für mich, du allein darfst mich greifen.
    Derart theosophisch angehaucht waren die nervenkranken Spinnereien, mit denen sich Peter Thiel beim Waffenputzen die Zeit vertrieb, um sich nicht am Ende noch vor lauter Spannung selbst aufzuessen. Das erwartungsvolle Ziehen und Zerren an der Seele suchte ihn immer heim, wenn er, wie heute abend, auf Beute aus war. Verständlich, daß er diesem Rausch inzwischen ganz verfallen war, wo doch das prekäre Leben dieses Serienmörders in Wirklichkeit alles andere war als spannend.
    Von oben angeschaut änderten nicht mal die Morde was an diesem Befund, insofern er mit seiner verbissenen Wegputzerei von Leuten, die sich nicht gegen einen wie ihn schützen konnten, genauso wie schon alltagsüber am Arbeitsplatz einfach nur die Funktion erfüllte, die gesamtgesellschaftlich für ihn vorgesehen war.
    Langweilig: Genau wie all die anderen, in den langsam sozial rauher werdenden neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts zu Popstars aufgebrezelten Serienkiller, Frauenfresser, Totmacher und sonstigen Muttersöhnchen des Bösen, lauter pflegeleichte Gruselhampelmänner, über die da, um den biederen Zustand weiter zu mythisieren und mit haufenweise handzahmer Allegorese vollzuphantasieren, eine Rie sen­menge Büchlein geschrieben und Filmchen gedreht wurden, die allesamt, nur zwei glänzende Ausnahmen beiseite, den eigentlichen Horror des Bildes verpaßten, der darin besteht, daß so ein Serienmörder eben nicht der letzte echte Wolf, der letzte Renegat und Herr seiner Selbst ist, nichts Böses, sondern ein ganz armer, unwichtiger Hund, der sich dem Gemeinsten hingibt, was man sich vorstellen kann, weil er doch so gern ein Held wäre, trotzdem nicht weiter denken mag als bis zum Vorgesehenen und Helden aber eben nicht vorgesehen sind. Wessen Straße ist die Straße, wessen Welt ist die Welt? Der Mensch dem Menschen ein Viech.
    Die beiden Ausnahmen, Ellis’ »American Psycho« und die Hannibal-Lecter-Bücher von Thomas Harris, kannte Peter Thiel nur vom Hörensagen. Künstlerische Bearbeitungen des Themas waren seine stille Freude nicht. Dafür

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