Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
Vom Netzwerk:
geschlossen. Die Zähne wollten klappern, aber er zwang sich, die Zunge von innen dagegenzudrücken, und dachte immer dasselbe, eine Art Karussell, das sich in seinem mageren Verstand lustig drehte, um und um und um: ­Vater­unserimhimmel, heiligtwedeiname, deinreichkomme, deinwilleschehe, unsertäglichbrutunsheute, vergibunsunsreschuld, wirvergebenschuldigern, führunsnichtsuchung, lösunsdembösen, ­deinisdasreichundiekraft­undielichkeitamen.
    Und gleich wieder von vorn: Vaterunserimhimmel, heiligtwedei­name …
    Niemand redete viel, fast gar nichts wurde gesagt, außer wenn Gina den neben ihr stehenden Schorsch mal wieder anpflaumte: »Halt die Scheiße gerade!«
    Mit der »Scheiße« war eine Taschenlampe gemeint, denn es wurde schon finster im Wald.
    Hoch oben stand man, auf dem roten Felsen, nördlich des Flusses, nördlich der Hauptstraße, die sich am westlichen und östlichen Ortsausgang der kleinen Stadt in die B 317 verwandelte. Hier, auf dem Berg, der Teil eines kompakten Massivchens war, das nordöstlich zum Hausener Köpfle führte, waren die meisten Menschen, die schon als Kinder in der Kleinstadt gelebt hatten, irgendwann von Betreuern oder Lehrern in kleinen Gruppen spazierengeführt worden, auch Philip Klatt, Robert Rolf und Jennifer Brunner, damals als kleine Schutzbefohlene des katholischen Kinderhorts St. Anna.
    An den Bäumen hier hatte man im zwanzigsten Jahrhundert nur einmal einen Mensch aufgehängt, im einundzwanzigsten noch keinen. Im Gegensatz zu Klaus Utzer und Joachim Behnke war der im zwanzigsten Jahrhundert damit ganz einverstanden gewesen, hatte es sogar selbst besorgt: arbeitsloser Lackierer, Schulden, Liebeskummer, Sprachfehler, große, nicht unberechtigte Furcht vor allen denkbaren Aussichten aufs Weitermachen.
    »Wieso …«, setzte Klaus Utzer, würgend, zu einer der sinnlosen Fragen an, die ihm im Kopf rumgingen, seit die sechs Personen, mit denen er und Behnke hier oben standen, ihn und den armen Kameraden hergeführt hatten. Mit verbundenen Augen war das passiert, Lederriemen um die Hände, Messerspitzen mit Nachdruck im Kreuz, sobald sie nicht mehr hatten laufen wollen.
    Bei Ankunft waren die Binden abgenommen worden, viel klarer sahen die Verurteilten trotzdem nicht. Motorenlärm heulte und brummte, ein Auto fuhr im Schritttempo die Serpentine hoch. Seine Scheinwerfer blendeten auf, als es hinter Behnke und Utzer stehenblieb, die ängstlichen Männer sahen das Licht die Baumwipfel entzünden, sahen die stehenden Lichtsäulen in der dunstigen Luft. Unter ihnen lag die Stadt friedlich schlummernd ausgebreitet, Häuschenteppich, die Lampen ein festgefrorener St. Martins-Umzug, aus Himmelshöhe betrachtet. Gar nicht so viele Lichter, na gut, wir sind ja auch nicht in New York.
    Autotüren wurden aufgestoßen, Menschen in Stiefeln stiegen aus, die Türen fielen mit dumpfer Wucht wieder zu. Schritte auf Geröll, dann im Laub.
    Behnke sah nach unten: Der Felsen fiel vor seinen Füßen schroff ins Leere, in das Behnke nicht gern fallen wollte, von da kam man nämlich ganz sicher nicht wieder: Vaterunserimhimmel …
    »Hallo, ihr zwei beiden. Klaus, Achim«, sagte der Dokter.
    Dann fügte er etwas hinzu, das die beiden Männer mit den Schlingen um die Hälse nicht verstanden: »Anzünden, bitte.« Sie sahen nicht, daß Rainer Utzer eine Zigarette in den Mund gesteckt hatte, und konnten nicht wissen, daß er Astrid Riedler, die mit ihm und dem ehemaligen Punkrocker Andy jetzt von hinten auf die Männer zuging, gerade aufforderte, sie ihm anzustecken. Einen halben Meter hinter seinem Bruder blieb der Dokter stehen, stieß den ersten Qualm durch die Nasenlöcher in die Kälte, schwieg effektvoll.
    Klaus Utzer zischte: »Wenn de nit ufhörsch jetz soffot mit sellem Schissdreck … Gopferdeggel no emol …«
    »Klaus. Ach, Klaus, Klaus, Klaus.« Der Dokter schüttelte den Kopf und seufzte. »Nichts als Schwierigkeiten, weißt du das eigentlich, du Affe? Nichts als Schwierigkeiten hast du mir gemacht. Seit ich geboren bin. Das muß man sich mal vorstellen.«
    »Jo, des isch mir doch …«, maulte der große Bruder, verstummte aber augenblicklich, als Astrid Riedler auf ein Kopfnicken des Dokters hin von hinten an ihn herantrat und ihn kräftig, krallig in die halblangen Haare faßte. Sie brauchte nicht besonders fest dran zu reißen. Der Entflohene hatte auch so kapiert, daß der Dokter nicht mit ihm, sondern lieber mal ganz alleine reden wollte.
    Andy leckte sich die Lippen. Er

Weitere Kostenlose Bücher