Für immer in Honig
Utzer kam noch eine Idee; er sprühte offenbar geradezu vor Einfallsreichtum, wenn man beabsichtigte, ihn zu henken: »Aschtrid? Aschtrid, bisch dabei? Maus?«
Der Dokter war enttäuscht und gab entsprechende Laute von sich: »Ts, ts, ts. Also wirklich. Klaus. Lieber. Guter. Schrecklich dummer. Ich bitte dich! Astrid? Natürlich ist sie bei dir. Steht direkt hinter dir. Und wird trotzdem kein Wort sagen, wenn ich sie nicht dazu auffordere. Hast du gedacht, sie verschmachtet hier draußen nach dir? Dem Tom Cruise des nationalen Widerstands? Du bist ein Mehlwurm, Klaus. Noch unattraktiver als ich, wenn das möglich ist: Aknenarben, die gab’s immer, aber dann hast du auch noch Fett angesetzt im Bau … Trainiert ihr da nicht den ganzen Tag? Hast du mal ›Kap der Angst‹ gesehen, mit Robert De Niro? Wie der aus dem Knast kommt, jeder Zoll ein Eichenbaum, vorbildlich, kann ich nur sagen. Ich selber bin wenigstens ordentlich fahl und eingefallen, eine gewisse vampirhafte Grandezza kann man mir bei etwas gutem Willen wohl nicht absprechen. Und übrigens, daß wir uns nicht mißverstehen: Ich liebe Astrid natürlich, ganz genau wie du. Wer, der sie kennt, kann vermeiden, sie zu lieben? Im Gegensatz zu dir aber weiß ich sie außerdem auch noch zu schätzen. Ich habe sie nie angefaßt, nie auch nur anzüglich angesprochen. Weißt du, warum, Klaus? Weil sie sich, zum Beispiel, das hier jetzt anhört, ohne mit der Wimper zu zucken. Weil Astrid unerreichbar ist, eigentlich. Weil sie nicht zu mir gehört, anders als die vielen Deppen, die mir zu Gefallen von jeder Brücke in jeden Fluß springen würden. Ich weiß nicht, zu wem sie gehören könnte, wir sind alle zu … emsig, ameisig. Ich habe mir das klargemacht, als ich sie das erste Mal sah. Du nicht. Deshalb wird sie tun, was ich sage, und dir wird sie keine Träne nachweinen.«
»Aschtrid?« Der zitternde große Bruder des Wahnsinnigen wiederholte seine Frage, sie war jetzt beinah flehentlich geworden. Sehr müde sagte der Dokter: »Antworte ihm ruhig. Damit wir hier mal weiterkommen.« Astrid ließ Behnkes Ohr los (Danke danke danke Vaterunserimhimmel …), trat wieder ganz nah an ihren Ex-Geliebten heran und wisperte dem ins Ohr, was niemand sonst hören konnte: »Dein Bruder ist ein Wichser, Klaus. Das hast du mir immer gesagt, und das stimmt. Aber er ist ein mächtiger Wichser. Ein cooler Wichser. Du … ich weiß gar nicht, wer du bist. Nein, stimmt nicht, ich weiß es: Du bist tot. Du bist schon ganz lang tot, Klaus. Seit Jahren. Also, stell dich nicht so an, bitte, und hör auf zu flennen.«
Es gab darauf nur eine Erwiderung, und Klaus Utzer schrie sie heraus, so laut er konnte, daß die Eulen aus den Ästen emporflatterten, alle Blätter raschelten, Gina und Schorsch und Andy zusammenzuckten: »Ich hab dich im Arsch g’fickt, Aschtrid! Siebzehn warsch! Siebzehn Johr! Im Arsch g’fickt, und ins G’sicht gschpritzt! Ich hab dich im Arsch g’fickt, du alti dreckigi …«
Der Dokter hob das rechte Bein und trat seinen Bruder mit aller Wucht ins Kreuz. Sein schwarzer Stiefel glänzte im Mondlicht. Klaus Utzer geriet ins Rutschen, Blätter glitten auseinander und warfen sich zu Wällen auf wie Schaum, Taumeln, ein Ruck.
Das Knacken war lauter, als Andy erwartet hatte. Er schluckte trocken, das tat ihm in der Kehle weh, nicht in der Seele leid. Dann merkte er, fast wie im Traum, daß er einen Steifen hatte – ganz genau wie der Gehenkte wahrscheinlich, wenn stimmte, was er wo gelesen hatte und was jetzt auch durch des Dokters mündlich vorgetragene Burroughs-Exzerpte bestätigt worden war. Andy, von sich jetzt furchtbar angewidert, zog es vor, sich einzureden, daß Astrids geiler Arsch, Astrids coole Glatze, überhaupt Astrids unglaubliche Ausstrahlung ihn erregten, weil er nicht wissen wollte, daß es eigentlich an der Nähe des Todes eines andern lag, daß er sich fühlte, wie er sich fühlte.
Andy hatte nicht nur noch nie einem Mord beigewohnt. Er hatte überhaupt noch keinen Menschen sterben sehen.
Joachim Behnkes innere Gebetsmühle wurde schlagartig lautsprecherlaut. Er begriff selbst nicht, daß er schrie: »Vateruns… Vaterhimmel … heiligt, heiligt, gibunsunsere … tägliche … Schuld …«
»Pschh …«, machte der Dokter, voll Mitleid. Astrid legte Behnke den linken Arm um die Schulter, preßte ihm ihre linke Hand fest auf den Mund.
»Also, ihr Lieben. Mein dummer Bruder Abel … der ist jetzt weg. Futsch. Perdü. Aber du … du hast
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