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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Herzen. Als Frau, als Philosophin, vor allem aber auch als Mutter, die sicher im Gegensatz zu den meisten Frauen, die sie von früher, aus ihrem ersten Leben kannte, und die sich seit ihrer Auferstehung von Margarete abgewandt hatten, gut verstanden hätte, was die Vereinsamte für die ärmsten Armen tat, ihre neuen, anderen Kinder.
    Eine Mutter wie Margarete war kein pflegeleichtes Herzchen, keine milde Seele von Mensch, das Muttersein hatte sie nicht handzahm gemacht.
    Genauso ging’s offenbar der Wolfsfrau-Theoretikerin, da sie doch Absätze schreiben konnte wie den, für den Margarete gestern abend eine Stunde gebraucht hatte – dafür konnte sie ihn jetzt aber auch auswendig, diesen kostbaren Passus über die mystische Erleuchtung, die ein langes Frauenleben mit sich bringt: »Das Unglaublichste an diesem langwierigen Einweihungsprozeß ist, daß Frauen es fertigbringen, die ganze Zeit in der Oberwelt mit all ihren Freuden und Pflichten zu existieren, ohne mitten entzweigerissen zu werden wie ein Knallbonbon. Sie fahren mit allen regulären Aktivitäten fort, lieben ihre Männer, gebären Kinder, kämpfen um diesen oder jenen Vorteil« – genau, um Schnäppchen, fiel Margarete dazu ein – »betreiben ihre Kunst und kochen, backen, braten auf jeder Ebene weiter, während sie sich unterdessen ständig in grenzenlose Tiefen hineinwagen und ein Ohr lauschend nach innen wenden.«
    Margarete stand sinnend, das Ohr lauschend nach innen gewendet, mit dem knöchelchendünnen Schlüssel in der Hand, im Keller des Mehrfamilienhauses, das sie mit dem Gatten Peter und der Tochter Valerie bereits seit der Zeit bewohnte, als diese Tochter anfing, zur Schule zu gehen. Sie summte leise vor sich hin, das Halbdunkel gefiel ihr.
    Eine schlichte Deckenlampe mit stumpfgrünem Kegel-Metallschirm warf ihr schmutziggelbes Licht auf eine Kühltruhe vom Fassungsvermögen zweier komfortabler Badewannen.
    Die ärmsten Armen standen nicht so nah bei diesem Licht wie Margarete selbst, weil Licht ihnen nicht schmeichelte. Sie scharrten mit den schweren Füßen, dieser und jene gurrten taubenartig, hier und da war Rasseln und Pfeifen zu hören, je nachdem, wieviel Blut in den Lungen von Margaretes armen Freunden schwappte. Margarete war im Begriff, ihre Aufmerksamkeit den ärmsten Armen jetzt ganz zuzuwenden.
    Sie wollten und mußten ja essen.
    Mutter Thiel war stolz darauf, selbst denen helfen zu können, die so ungelenk waren, daß sie gefüttert werden mußten. Es ging aber nur sehr langsam. Die Verlorenen mußten sich gedulden, Valeries Mutter war nicht flink, anders als damals, als sie ihr leibliches Kind bekocht und umsorgt hatte.
    Margarete lächelte in Erinnerung an die feinen Sachen, die Schöninchen immer so gemocht hatte: Nußplätzchen – 2 Eier, 85 Gramm Zucker, 60 Gramm Mehl, 50 Gramm Haselnußkerne … im Sommer Früchtebowle oder Honigeis mit Melone … im Winter Würstchen im Pita-Teigmantel, um die Weihnachtszeit süße Brötchen, Zimtschnecken. Und immer wieder die Nußplätzchen – »2 Eier …«, schniefte Margarete Thiel, »85 Gramm Zucker…«, mehr war nicht dazu zu sagen, sie schwieg wieder.
    Dann hob sie die Hand mit dem Schlüssel für das schwere Schloß an der Kette, mit der die Kühltruhe versperrt war. Sicherheitsvorkehrungen dieser Art mußten sein, Peter hatte ihr drastisch ausgemalt, was alles schiefgehen konnte, falls doch mal jemand hier reinspazierte, jemand von den andern, den Nichtwiederbelebten im Haus, auf dem Weg zu den Waschmaschinen oder dem eigenen Kellerdepot.
    Solche Überlegungen – Kalküle, Sorgen – fielen Margarete schwer, seit sie zombotisiert war.
    Schleppend schlich die Mutter einen, dann noch einen Schritt auf den weißen Sarkophag zu und dachte dabei wirr an die Instrumente zum Nußplätzchenmachen: Rührschüssel, Messbecher, Schneebesen, Löffel.
    Zwei der Unglücklichen regten sich im Schatten; wohl eher unwillkürliche Zuckungen als planvolle Hinweise in Körpersprache auf die Ungeduld und den Hunger.
    Margarete sah mit flackerndem Blick die schwarzglänzenden großen Augen ihrer Gäste, die ausgetrockneten Hautfetzen, die von Stirnen und Wangen hingen, dort den offenen Hals, hier das schwärzlichkrustig blutverklebte Haar. Und sie sah das echte Leben am falschen: die Fliegen und Maden, die sich an allem Weichen, das noch genießbar war, schadlos hielten. Margarete ging zeitlupenlangsam in die Hocke und griff nach dem Schloß. Etwas klickte, klappte und klapperte zu ihrer

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