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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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war nervös, ein bißchen wohlig erregt auch: So ging das Leben auf dieser Seite des Grauens also, nicht schlecht. Auch nicht gut, eigentlich, weil wahrscheinlich diese beiden Typen hier jetzt gleich ermordet werden würden, aber erstens waren es beides Schweine, und zweitens langweilte man sich jedenfalls nicht. »Kennst du William S. Burroughs? Natürlich nicht«, plauderte der Dokter, »war eine rhetorische Frage, ich möchte wirklich nicht allzu viel hören von euch beiden, Klaus und Achim. Ich will sogar nicht einmal wissen, was ihr euch bei eurem hirnrissigen Ausbruch gedacht habt. Kein Vertrauen, nehme ich an – ich habe dir geschrieben, Klaus. Erinnerst du dich? Mehrfach habe ich dir schriftlich«, er wurde ein wenig lauter bei der Wiederholung, auch schärfer, »jawohl schriftlich bedeutet, daß wir euch rausholen werden, wenn der Tag des neuen Reiches da ist. Ihr habt kein Sitzfleisch, Leute. Keinen Mumm. Wo war ich stehengeblieben? William S. Burroughs … der hatte Sitzfleisch. War ja auch Schriftsteller. Amerikaner. Vernegert und verjudet bis über beide Ohren, nichts als Durchfall, diese sogenannten Romane, Seiten um Seiten mit irgendwelchen labbrigen Albtraumvisionen … aber der Pluspunkt kommt jetzt, gebt fein acht: Er schreibt sehr hübsch übers Erhängen. In ›Naked Lunch‹ zum Beispiel, auch so ein Hauptwerk der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts, gibt es eine Stelle, die so präzise ist, so klar, daß ich sie mir hab’ merken müssen: Einer wird da losgetreten, baumelt, stößt einen unirdischen Schrei aus, wird ohnmächtig, sein Sperma spritzt heraus – ja, das passiert beim Aufhängen, hast du natürlich auch nicht gewußt, Klaus, obwohl das schon fast Allgemeinbildung genannt werden darf, egal, freu dich jedenfalls schon mal drauf. Schlaff sinkt er nach vorn – er sieht aus, was für eine schöne Wendung, ich zitiere: ›wie ein unschuldiger Engel im Tran‹. So was liebt man, dafür liest man Bücher, auch ganz schlechte – damit man hin und wieder einer dermaßen hellen und wahrhaftigen Beschreibung begegnet von etwas, das man sich sonst vielleicht gar nicht aus der Nähe anzuschauen trauen würde.«
    Klaus Utzer hatte keine Probleme mehr damit, richtig aufzufassen, in welcher Lage er sich befand: Sein kleiner Bruder palaverte munter daher, als stünden keine zwei Männer mit zu Schlingen zusammengezogenen Seilen um die Hälse vor ihm, als wäre das eine ganz normale Bühne hier, für so einen kleinen Monolog. Also war sein kleiner Bruder offensichtlich verrückt geworden, was wiederum bedeuten mußte: keine Milde, kein Erbarmen, nicht Hilfe, Schutz noch Rettung waren zu erwarten. Klaus Utzer sah nur einen Ausweg, schmal und so gut wie unbetretbar: Er mußte irgendwas tun oder sagen, was den Dokter beeindruckte, ihm das richtige, das gesunde und normale Verhältnis ­zwischen ihnen beiden ins Gedächtnis rief, in dem der ältere Bruder das Sagen hatte und der jüngere an seinen Lippen hing. Angriff war nicht nur die beste Verteidigung, es war die einzige: »Kommsch no zum Punkt, irgendwann, oder isch des eifach so e Vortrag für uns und die Eichhörnle und die Mäus’?«
    Rainer Utzer lachte. Dann hustete er verschlammt und sprach: »Einer von euch beiden wird hier sterben, damit der andere begreift, daß es um größere Dinge geht. Daß man hier nicht wie irgendein verfickter Desperado aus dem Kino mit bescheuerten Gefängnisausbrüchen den ernsten Menschen, die ihre schwere Pflicht tun, Misshelligkeiten verursachen darf … Was habt ihr gedacht, als ihr bei Schorsch geklingelt habt?«
    »Mir hän …«, sabberte Behnke, aber Astrid ließ sofort den Kopf ihres ehemaligen Geliebten los und packte statt dessen Behnke am rechten Ohr. Sie zog so heftig daran, daß Behnke meinte, er würde insgesamt hochgerissen, mochte ausrutschen, fallen …
    »Gar nichts habt ihr gedacht«, stellte der Dokter fest, »in Schwierigkeiten habt ihr uns gebracht. Die Polizei hier am Ort … die stellt kein Problem dar, das ist klar. Aber durch euch … werden vielleicht Behörden außerhalb des Ortes aufmerksam, und, nun ja, was soll ich sagen – Nebbich, würde ich sagen, wäre ich Jude. Dies hier ist eine der gar nicht so wenigen Städte, die eine derartige Aufmerksamkeit überregionaler Behörden im Augenblick sehr schlecht vertragen würden. Hier passiert Wichtiges, und es muß im Halbdunkel passieren, sonst wird es aufgehalten. Wer meint ihr, daß ihr seid? Die Baader-Meinhof-Bande?«
    Klaus

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