Für immer in Honig
wurde herbstblattbraun und starb dann bald.
Jetzt leuchtete Robert das matschige Gelände an, auf dem der windzerfahrene Regen in immer neuen Güssen niederging: schmale Bretter, mittels breit beschlagenen Gelenken an Metallstreben festgemacht, eine merkwürdig skulpturennahe, kunstbetriebsnudelige Vergnügungsinstallation eigentlich.
Sie waren hier spazierengegangen zusammen, vor knapp zwei Monaten, am Sonntagnachmittag, hatten neue Auftritte besprechen wollen, neue Skandalperformanzen. Dann war daraus eine Konversation über Schallplatten geworden, die er ihr geschenkt hatte, damit sie sich besser in der Szene zurechtfand – und warum noch mal war das genau hier gewesen? Er grinste kläglich, es hatte damals ja noch alles, was Schöninchen und er zusammen machten, einen Grund gehabt, einen Sinn, einen Anlaß, gute alte Zeit.
Weshalb?
Die Carl-von-Ossietzky-Straße, die zu diesem ausgedehnten, bei Tag dank dichtem Baumbewuchs jederzeit hinreichend intimen Park führte, lag eben, wenn man die geometrischen Verhältnisse des S- und U-Bahnnetzes für die Maßverhältnisse der Stadt insgesamt nahm, auf genau halbem Weg zwischen ihrer und seiner Wohnung. Deshalb.
Dieses hier von ihm heute erwartete Treffen, zu dem Valerie Robert aus dem qualvollen, verschwitzten und stinkigen Döseschlaf geklingelt hatte, mit dem er neuerdings die Nächte auf dem ungemachten Bett verbrachte, aus dem Judith geflohen war, hatte kein für ihn erkennbares derartiges »Deshalb« mehr anzubieten.
Konfuse Dringlichkeiten aus dem Hörer: »Ich muß mich verabschieden, für eine Weile, Robert … von meinen besten Freunden, also auch von dir. Frag mich jetzt nicht so viel, ich erklär’ dir alles, am … komm auf den Spielplatz. Wo wir über die Platten geredet haben, weißt du?«
Um diese Uhrzeit? Wie konnte sie sich aus der Wohnung ihrer Eltern stehlen, ohne daß es schweren Ärger gab, warum mußte das alles jetzt sein, was hieß verabschieden, wohin?
Der Wald umstand die lichtlose Lichtung, schwarz wie ein Loch im Zahn, der Regen klang allmählich mehr nach automatischer Klosettwasserspülung als nach Naturereignis, wie mechanisch-hydraulisches Rauschen, von hin und wieder umschlagendem Wind kaum merklich punktiert.
Robert Rolf klemmte den ihm von Judith hinterlassenen Damenregenschirm unbeholfen am Stiel unters Kinn. Dann hob er den rechten Arm, winkelte ihn an, sah auf das von Sprühregenfilm verschmierte Glas überm Ziffernblatt seiner Armbanduhr: Viertel nach eins.
Der dottergelbe Lichtfleck, den die Stablampe hergab, huschte von Roberts in der nassen Kälte leicht zitternder Hand befehligt über die Hängebrücke und die schlanke Wippe, am Kletternetz entlang, einmal rundherum auf dem freien Sandbassin, aus dem sich die Plattenteller-Laufscheibe einen waghalsigen halben Meter hoch erhob, von ihren Konstrukteuren schräggestellt, für mehr Balancevergnügen.
Es donnerte.
Robert vermeinte spüren zu können, wie der Matsch des unsichern Bodens ihm durch die Füße in die Beine sickerte, als würden Knochen, Muskeln und Gefäße vom bloßen Stehen und Warten an dieser Stelle selber zu Dreck, als vermoderte er bei lebendigem Leib. Er wischte sich mit der Lampenhand über Stirn und Gesicht, auf denen er damit nur die Regenfeuchte verteilte, wie sonst, in der Tageshitze, den Schweiß.
»Setz dich auf die Bank. Ich weiß, daß sie naß ist, aber setz dich trotzdem hin«, sagte Valerie. Sicher sah sie, daß er, als sie zu sprechen anfing, zusammenzuckte, aber das löste keine Regung, keine beruhigende Versicherung aus. Sie war nicht dazu aufgelegt, irgend jemandem zu versichern, alles wäre in Ordnung.
Zwischen zwei kleinen Bäumen am Kletternetz trat sie aus dem tropfend-labbrigen Vorhang der schwarzen Blätter, glitschigen Baumstämme, flüssig bebenden Farne. Geduckter Kleindschungel: Heimat böser Tiere, wie Schöninchen jetzt eins sein mußte.
Gottes Dielen knarrten. War das Gewitter im Abklingen?
Der innerstädtische Wald als Hörspiel zum Thema verwunschenes Haus. Das war gar kein Donner, keine Dielen, berichtigte Robert sich, bloß Astwerk.
Wurde es heller?
Robert sah hinauf zum Himmel: Ein fast voller Mond, dessen Farbe die Metallumfassung ums Ein-Euro-Stück zitierte, ließ sich blicken, zwischen den Regenwolken. Robert schaute zweifelnd zu Schöninchen. Die junge Frau trug ihre Samthosen, ihre Motorradlederjacke, das nasse Haar war hinterm Kopf zum Zopf zusammengebunden, das Gesicht sah bleich aus, wie Zahnpasta.
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