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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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zusammen mit den quasselnden Hanseln jetzt planschen, und keckern immer nur, das wäre ja alles so dogmatisch gewesen damals, bevor sie endlich, hey ho, let’s go, mutig daherkamen und kühn zu labern anfingen?«
    »Jenny … Sie sind halt verzweifelt. Und wissen es nicht. Das ist die Tragödie. Und deshalb, daher …«
    »Ach Kuchen«, schnitt Jenny mir das Wort ab, »die Toten erobern die Welt und die Lebenden legen sich auf den Rücken und wollen ­gekrault werden – das ist doch keine Verzweiflung, wenn man am eigenen Arsch ein Schild hinhängt: Liebe Faschisten, hier möglichst reinficken mit euren Waffen, euren strengen Sachen und was ihr sonst noch habt. Ich will dir sagen, was Leute machen, die verzweifeln: Solche wie ich werden dann zu sinnlosen Aktionisten, die’s einfach brauchen, daß sie hin und wieder eine von den Kakerlaken aus dem Verkehr ziehen können, wegen der Lufthygiene. Menschen wie du, wenn sie verzweifeln, verziehen sich ins Theoretische, ins heiligmäßig vergebliche ­Welt­er­klären und Erzählen, fliehen nach oben, aufs Dach, um wenigstens die Wahrheit nicht zu vergessen, weil man sich sonst so schämen müßte. Und Leute wie Philip, die machen sich aus Schuldgefühlen gleich ganz selber kaputt, fangen womöglich an zu saufen oder so, das sind die moralisch Wertvollsten vielleicht, aber natürlich auch weg vom Fenster. Alle drei geben wir die Politik also lieber auf, deorganisieren uns wieder, bewußt, wenn wir meinen, daß es echt keinen Sinn mehr hat, wenn die Kräfteverhältnisse gekippt sind. Was wir aber nicht machen, ist, denen, die noch kämpfen, oder denen, die gekämpft haben, mit Besserwisserei kommen.«
    Das Schönste, soll heißen, das Deprimierendste daran: Genau so, wie sie das gesagt hatte, ist es schließlich mit uns dreien gekommen. Das zwar, nicht aber die große Amnesie hat sie also vorhergesehen, das Vergessen, das sich aufs gesamte praktische und theoretische Wissen legte, das wir gewesen waren.
    Dann aber hat die Sache mit Valerie, die Sache mit Astrid und die Sache mit Freddy an drei ganz verschiedenen Schauplätzen dieses Tuch wieder weggerissen, und dann …
    Wieso befahre ich diese Schienen?
    Wieso unternehme ich eine große Fahrt, die notwendig immer wieder stocken muß?
    »Wir bitten um Ihr Verständnis, wir müssen noch Reisende aus einem anderen Zug mit Verspätung aufnehmen.« Fulda. Die Durchsage ge­hörte zu denen, die man fertig auf Band bereithalten konnte, wie hieß das gleich: Bahnreform. Vor ihr saßen zwei, Agrarstudent und Stewardess, wenn sie das richtig hörte.
    Sie führten grausige Gespräche. Valerie dankte der Nacht und den Sternen fürs Lebensoberflächen-Lesehilfsmittel Sound .
    Ihr ehemaliger, jetzt toter Robert hatte sie oft gelobt dafür, wie genau sie Formen seelischen Elends an ihrem Klang erkannte, wo immer die Leute plötzlich anfingen, richtig dumm daherzureden. Es gab nämlich eine eigene klangliche Ordnung dabei: Unangenehme deutsche Intellektuelle zum Beispiel machten, wenn man nach einer Weile nicht mehr zuhörte, was sie sagten, sondern nur noch der Art, wie sie’s sagten, seltsam nagetierhafte Geräusche, die sich anhörten wie: »Nä öh Nö, Nä nä, Nö nö, Ni ni nä, nei nei, nä.«
    Viele Umlaute also, und manchmal, zum Würzen, ein erigiertes I. Der liebste Konsonant war ihnen das N.
    Hausfrauen dagegen, tratschend, auf der Treppe oder am Zaun: »Brokk mock mock Grock, grrmm k-k-k-kack!« – Da waren Ks und Rs äußerst wichtig, voneinander notdürftig getrennt mittels möglichst dunkler Vokale.
    Diener des Staates wiederum: »Haaa, maaa, hadda dadada la la! Rann zack dallala!« – Eine einzige maulaufreißerische E-Brüllerei als geistige Lebensform.
    Und die Stewardess, der Agrarstudent? Dissonant Girlandiges, wie wenn man leise jodelt, während man kleine Kinder und Schwachsinnige betreut: »Heuiojo, jeu jeu, ui ui lileu.«
    Was war, worum es denen ging? Nichts, vieles, vermischtes:
    »Ich krieg immer gleich den Koller.«
    »Feiner Wein.«
    »Leichtes Essen, die Leute sind haha beizeiten in ihrer …«
    »Da wart ihr aber noch nicht zusammen? Euch zwei beiden, heieiei …«
    »Nein, aber er hat ja schon rumgegraben, gleich bei …«
    »Hei!«
    Wie weit das weg ist, was Robert, Jenny und Philip damals gewollt hatten: Wann werden wir frei sein, lustig vernünftige, leidenschaftlich richtige Selbstverantwortlichkeit aller für sich, für alle und alles.
    Es muß, sagte der Winter zu Schöninchen, noch sehr

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