Für immer in Honig
dem andern kippt, ein Mordsgeschrei immer, in spanischamerikanischem Kauderwelsch, bevor sie anfängt, ihre verrückten Lieder zu singen, von Skriba auf der Gitarre begleitet mit seinen uralten Schreiberfingern, 2.) mein amerikanischer Pilot, John oder Jerry. Wir fuhren mit einem Jeep die bergige Route nach Jerusalem. Unsere beiden Abholer saßen vorn, schwiegen die ganze Strecke lang. Nomaden mit ihren Ziegen und Kamelen auf den Hängen sah ich, erstaunt, daß es so was gibt, heute noch, damals waren wohl keine W dabei.
»Die Herrschaften da drüben haben von niemandem was zu erwarten«, sagte Skriba, und ich glaubte, er zwinkerte mir hinter seiner schmalen schwarzen Sonnenbrille zu, »nicht von der Regierung oder dem, was davon noch übrig ist, nicht von uns, nicht von den Palästinensern, den Syrern … von niemandem. Sie werden aber, wie ich den Humor des Allmächtigen kenne, noch da sein, wenn wir uns alle gegenseitig umgebracht haben und selbst der böse alte Zombotiker Arafat endlich in sich zusammenfällt.«
Ich schwieg, war übernächtigt. Alle Gelenke taten mir weh, auch fühlte sich das Bein, aus dem die Kannibalin auf dem Spielplatz ein großes Stück herausgefressen hatte, seit unserer Landung an, als wäre es voller Insekten, die für einen großen Krieg gegen Sonne, Mond und Sterne mobil machen. Wir sahen rotbraunen, zerbeulten, gepanzerten Schrott zwischen Büschen und Ölbäumchen. Ich muß das verkeilte Zeug arg angeglotzt haben, denn Skriba sagte: »Aus dem Krieg.«
»Aus welchem?«
»1948. Die räumt keiner weg – auch weil wir gewonnen haben. Zwei Dinge bleiben hier immer gleich, das müssen Sie sich merken: die Siege und der schlechte Zustand der Straßen. Täglich sterben zwei Leute bei Verkehrsunfällen, von dieser Opferrate kann selbst die Hamas nur träumen.«
Er zeigte seine vielen Zähne, ein kleiner Zaun: alle weiß und sauber.
Ich kann mir denken, wie er in Berlin, in seinem gastronomischen Keller, auf Valerie und Stefanie Mehring gewirkt haben muß: wie eine böse alte Fledermaus auf zwei Beinen. Aber die Sonne tut ihm gut, nehme ich an, oder enthüllt vielleicht auch nur die Wahrheit: Der Mann ist nicht verfault, sondern einfach sehr trocken , entwässert, entschleimt, näher können organische Formen im menschlichen Gesicht der Würde von altem Holz vermutlich nicht kommen. Unter dem Eindruck dessen, was ich mit der Zeit als seine Weisheit begreifen gelernt habe, kam ich schließlich dahin, dieses faltige, ledrige, gespannte und rindenartige Gesicht schön zu finden. Skriba ist mein Freund; vielleicht der erste, den ich seit Philip Klatt gefunden habe.
Ich weiß, daß ihm manchmal ein Käfer aus der Nase krabbelt oder über den Arm kriecht, ich weiß, daß sein linkes Auge sich manchmal nicht bewegt, wenn es das rechte tut, und manchmal doch. Aber ich weiß auch, daß das alles nicht wichtig ist. Kaputt sind wir alle.
Wir stiegen im King David ab, ich hab’ noch ein paar Bögen Briefpapier von diesem Aufenthalt.
Skriba wohnte in dem Zimmer, das Bill Clinton auf dem Höhepunkt seiner Nahost-Popularität ein paar Tage lang bewohnt hatte, ich immerhin in einer ehemaligen Unterkunft des Herrn Blair. Ich weiß sogar noch, was an diesem ersten Abend im Fernsehen kam: Jesus sollte ich in mein Leben lassen, sagte mir Lebanon TV, 6METV verkaufte Muskeltrainingsgeräte, und auf Star World gab’s das Ende einer Folge von »Nash Bridges« mit Don Johnson – Gott, ist der fett geworden, der Gute, dachte ich, wohlig befremdet – und den Anfang einer »Roswell«-Episode, beide im amerikanischen Original. Sehr gern hab’ ich mir das angeschaut, das ist wahr – bevor Skriba mich über den Zimmerapparat anrief: »Wir gehen was essen, Herr Rolf.«
»Ich habe keinen Hunger«, stellte ich mich mißmutig, weil ich endlich was gefunden hatte, dem ich mich ohne Argwohn überlassen konnte – Fernsehserien aus Amerika, bitte weitergucken, bitte nicht nach Hause schicken. »Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Rolf, aber ich muß Sie darauf hinweisen, daß Sie mich mißverstanden haben. Ob Sie Hunger haben, interessiert nicht – daß wir essen gehen, war eine Feststellung, keine Frage. Wir treffen uns in fünfzehn Minuten in der Lobby. Der Koffer, den Ihnen unsere Chica gegeben hat, enthält feine Unterwäsche, schöne weinrote lederne Schuhe, einen vanillefarbenen Anzug, ein taubenweißes Hemd, eine passende Weste. Ziehen Sie das alles an, nachdem Sie Ihre Toilette verrichtet haben,
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