Für immer in Honig
also doch: Kann man das vermeiden? Bitte? Wenn’s möglich wäre. Eine Denkweise, die man hierzu kennt, von den Verkehrsberatern, lautete bisher dazu: Sie müssen die sogenannte defensive Fahrweise machen. Das ist, immer wenn die Ampel rot ist, und die ganze Zeit, sich entschuldigen: Ja, wollte ich gar nicht, tut mir leid, ich bin hier defensiv, Entschuldigung, ich fahre gleich nach Hause, es war gar nicht so gemeint. Und dann immer daheim sitzen und Angst haben, immer sofort erschrecken, wenn es draußen hupt: Entschuldigung, wollte ich nicht, tut mir leid. Das ist defensiv. So. Eine Art schleimscheißerisches Sich-Herum-Drücken um den Überlebenskampf des Straßenverkehrs.
J: Jesus …
F: Feige. Um den heißen Brei herum mit dem Fahrzeug. Das ist ein Mißbrauch, muß ich sagen, des Führerscheins, denn der Führerschein gehört nur dem, der ihn sich verdient durch eisernes Hartbleiben. Durchsetzung! Wille und Haß! Das alte Denken ist keine Lösung. Also, es geht um neue Denkweisen. Jetzt kommt’s!
J: Jetzt kommt’s.
F: Jetzt kommt’s: Die überraschende Lösung lautet, wir bauen uns Waffen und Gewehre und Atombomben aufs Auto. Raketen-Fernlenk-Geschützgeschosse. Wenn dann durch ein Frühwarnsystem erkannt wird, daß sagen wir andere Fahrzeuge unsere Fahrt kreuzen und uns in unserem Verkehrs-Strafraum beeinträchtigen, dann wird durch Vergeltungskompetenz deutlich gemacht, wer die Straße sein eigen nennen darf. Pulverisierung der Opposition! So geht das, ich danke Ihnen.
J: Toll, Freddy. Vielen Dank, das war wirklich toll. Das war wichtig, das mußte auf die Minidisc. Da werden sich welche freuen, die das dann hören oder lesen dürfen. Sehr wichtig.
ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Sechshundertachtundzwanzigster Tag
Als Skriba mich ins Land brachte, nach der Resurrektion und der Flucht aus Berlin – wir gehörten zu den ersten, die sich absetzten, denn er wußte schon, wem die Stadt versprochen war und sogar, wann sie aufstehen würden, um sie sich zu holen – hat uns die Fluglinie im Flugzeug einen furchtbaren Film gezeigt, irgendein Ehedrama, ganz in rötlichen Tönen fotografiert, und ich weiß noch, wie ich schließlich lieber die Jalousie hochschnappen ließ, als dranzubleiben: Blau, ein viel besserer Film. Das Mittelmeer.
»Es wird vielleicht Scherereien geben«, sagte Skriba zu mir, »bleiben Sie ruhig, und wenn die andern sich auf den Kopf stellen.« Blau: Die See, die unter uns weggerissen wurde, man kann sich nämlich auf nichts verlassen, ein Spaß für den lieben Gott – sehet, ich zieh das große Wasser unter ihnen weg, und die Männchen in ihrem Flieger bleiben auf der Stelle stehn, wie ein mit Laser in Glas geschnittenes Hologramm.
Schalom. Und das Wetter, wie ist es denn nun dort, hörte ich Skriba seinen Sitznachbarn fragen, auf deutsch. Dieser antwortete was, das ich für »Noah« hielt, es war allerdings »noach«: angenehm, schön.
Welcome to Israel. Are you residents?
Die Formulare fragten nach dem Familiennamen, dem Vornamen, dann dem Vornamen des Vaters, und ich dachte an Stephen King, die »Dark Tower«-Bücher, wie Roland von Gilead dort den andern beibringt, die schlimmste Beleidigung für einen Gunslinger sei: »Du hast das Gesicht deines Vaters vergessen«, soll heißen: Du hast die Familienehre beschmutzt.
Der Vorname meines Vaters ist derselbe wie der Nachname meiner ersten Liebe, über die Jennifer, meine zweite und dann lange größte und einzige Liebe, immer gespottet hat, sie sei ein »Schöninchen«.
Upon entry, please fill out both forms using block letters.
Blockbuchstaben: Die Glyphen auf meinen fehlenden Hautpartien, dort, wo mein Körper aufgerissen worden war und Skriba mich mit beschriebenem Papier geflickt hat, sind von ihm selbst verfaßt, mit einem Pinsel, den er mir gezeigt hat, haarfein, gemacht für Kalligraphie. Sind es Zeichen in persönlicher Handschrift, hat Skriba einen Schreibstil, oder bin ich mit dem kabbalistischen Äquivalent von generischen Blockbuchstaben geheilt worden? Geheilt. Zusammengeflickt. Gerettet.
Ich dachte, als ich noch richtig jung war und schreiend unreif, Stephen King wäre ein anrüchiger Unterhaltungsschriftsteller, Gruselsoße, ekliges Zeug, und ich dachte, Heavy Metal wäre die Musik von, ich zitiere mich da gern selbst, weil ich’s noch gut weiß: »Leuten, die besoffen mit dem Motorrad gegen die Wand fahren, weil sie arbeitslos und doof sind.« Ich war also ein Snob, denn ich war in rohen und geistlosen,
Weitere Kostenlose Bücher