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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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sehende der zwei Japaner küßte den sitzenden Skriba zum Abschied auf die Stirn. Ich erinnere mich, daß ich dachte: Ich weiß ja nicht viel über Japaner, aber reservierter sind sie sonst schon, oder? Der Schnaps war gut, fast so gut wie das Essen.
    Sterne sah man, sehr viele, über den Dächern der Stadt, den Häuserterrassen, aus demselben hellen Stein in allen Vierteln: Nur mit diesem Material, mehr oder weniger von der Farbe meines Anzugs, durfte man hier bauen, hatte mir die Chica in ihrem schartigen, immer ein bißchen aggressiv wirkenden Englisch beim Essen erklärt.
    Die Deutsche hielt Skriba und mich auf der Treppe bei Laune – damals hatte sie kurze, struppige Haare, flachsblond, etwas zu hell, um natürlich zu sein, aber da sie jetzt, lang und glatt, ganz genauso aussehen, halte ich es nicht mehr für ganz so wahrscheinlich, daß sie gefärbt waren.
    Jetzt fällt mir sogar ein, was sie erzählte, hin und wieder dabei verhalten lachend, zu Skribas offensichtlichem Vergnügen, auf deutsch – eine aktuelle Geschichte aus dem gefährlicheren Teil des Alltags im Land, die mich in den Humor einführte, den man in Skribas Gegenwart pflegte: »Also, da gab es diesen Selbstmordattentäter, heute morgen, an der Busplattform bei Yakov’s Buchladen gegenüber, ja? Den Bauch schön in den Dynamitgürtel geschnallt – nicht mehr ganz jung und nicht so rank und schlank wie die Typen im Expressaufzug zu Allah sonst sind, hat schon ein paar Optionen im Leben gehabt und entweder nicht genutzt oder verbraucht, ein middle-aged, middle-eastern gentleman of the fanatic persuasion.«
    (Die Wendung habe ich danach selber ein paar Mal benutzt, sie ragte als englischer Block aus der Rede, bis eben hatte ich vergessen, von wem ich sie das erste Mal gehört hab’.)
    »Der Bus kommt. Die Fahrgäste sind außer der lebenden Bombe hauptsächlich Hausfrauen auf Einkaufskurs, vielleicht noch ein, zwei Studenten, die sich Bücher besorgt haben. Die Bustür geht auf. Der Typ ist nervöser als nötig, stolpert, flucht, und zwei Hausfrauen wollen ihm helfen, damit er nicht fällt. Sie greifen ihm unter die Arme – er denkt natürlich: Scheiße, jetzt haben sie mich, alles oder nichts. Also fängt er an rumzuschreien, und zappelt, und schlägt im Fallen um sich, reißt die netten Damen mit zu Boden – das läßt natürlich den Jackettflügel zurückflappen, und da sehen alle an der Haltestelle, wen sie vor sich haben. Der Busfahrer schließt also nicht die Tür und gibt nicht Gas, sondern springt raus, praktisch auf den Märtyrer drauf, dem die Frauen und Studenten schon mit Tritten und Grabschversuchen zusetzen. Der Tumult ist riesig, und der Typ …«
    Skriba lachte, an dieser Stelle, und ich fiel, etwas unsicher, auch mit ein.
    »Also, sie kriegen ihn richtig klein, nehmen ihn fest, halten ihn in Schach, bis die Polizei kommt – Streifenwagen, zwei Mann Besatzung. Der Sprenggürtel wird ihm abgenommen, sie verladen ihn ins Auto, er macht keinerlei Anstalten, davonzurennen, eingeschüchtert, guckt fast verlegen.«
    Ich sehe die Szene jetzt völlig klar vor mir: Sie lacht ein bißchen mit Skriba, wippt das schlafende, leise maulende und mümmelnde Kind auf dem Knie, und dann schaut sie mich direkt an: »In so einem Land werden Sie jetzt wohnen, Herr Rolf.«
    Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll.
    Skriba, stimmt, so war das, der half mir aus der Patsche: »Kaum interessanter als die augenblicklichen Zustände in Berlin, nehme ich an.« Damit ist das Gespräch rumgerissen, wendet sich anderem zu. Ich verschwinde kurz auf die Toilette, die Mutter fragt, höre ich beim Gehen, unsern Gastgeber noch einmal über das Chaos in der Heimat aus, die Kämpfe, Besetzungen von Großstädten, den Notstand und so weiter. Als ich zurückkomme, halten die Mutter und Skriba den Jungen jeweils an einem Arm. Er steht schläfrig da, sie beide sind hellwach. Dann drehen sie sich um und gehen, während ich ein bißchen betrunken und sehr verwundert hinterherstolpere, zurück zur Limousine, wo uns Jerry / John bereits die Hintertür aufhält.
    Im Hotelzimmer schalte ich sofort wieder Star World ein, kriege aber nichts mehr mit: Ich schlafe schnell ein. Als ich wieder zu mir komme, dämmert es draußen schon. Der Fernseher ist aus. Der Schädel kribbelt. Ich brauche volle fünf Minuten, um mich zu erinnern, wo ich bin.
    So ist das gewesen, so verwirrt bin ich hier angekommen.
    Später verwischte sich’s: Monate und Jahre in eiliger Verborgenheit, auf

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