Für immer in Honig
Super-Kaffeeautomaten findet man darin neun Stühle, zwei Tische, eine Weltkarte, eine Tafel samt Kreide und Schwamm, ein Waschbecken. Ab und zu kommen die wichtigeren Mützen dort zusammen, dann ist das Ding off limits, jedenfalls für rumlungernde Senoritos wie mich, nur daß ich jetzt keiner mehr bin, sondern – ja, was? Leitender Kader? Elite-Soldat im Grundwehrdienst?
Jedenfalls steht der Kasten bei den Tanks, rechts von unserem Zelt.
Ich darf heute also erstmals dabei hocken, weil Skriba und der blinde Japaner einen allgemeinen Überblick liefern, das alle paar Monate angesetzte »Review«. Nichts Konkretes über laufende Kampagnen oder darüber, wo wir eigentlich genau stehen, welche Partei wir sind, hier in unserem Rattencamp auf den Golan-Höhen. Wird mir nämlich alles noch nicht verraten, weil ich noch nicht so weit bin.
Strategisch potentiell starke Staaten, die nicht mehr so richtig existieren: Bundesrepublik Deutschland (der von Menschen bewohnte Teil ist im NATO -Protektorat West aufgegangen, die Zombies haben mehrere große Städte kassiert, vor allem Berlin, W-Zonen gibt es drei: eine im Südwesten, eine rund um Berlin, eine im Rheinland, der Osten ist voller Seuchengebiete), Frankreich ( NATO -West), GUS (vier große W-Zonen, der Rest Putins verzweifelte Restgegenden, ansonsten Zombies und Seuchen), Spanien (Zombies), China (Seuchen, Bürgerkrieg, Chaos), Polen ( NATO -West, obwohl im Osten gelegen), Israel (Menscheninseln, Zombies, manchmal Randzonen kurz von Jordanien und Ägypten besetzt, wird aber alles noch von Rumpf-Israel abgeschmettert, so far), Brasilien (vier Menscheninseln, Wälder voller W). Strategisch starke Staaten, die es noch gibt, obwohl durchschossen von »befreiten« (W) bzw. »postmortalen Territorien«: USA, Vereinigtes Königreich von Großbritannien, Indien, Australien, Südafrika. Alles andere ist Mord und Mahlzeit und Solanumkulturen in den Städten. Neueste Krankheit: ARVIDS , Acute Random-Vector Immune Disorder Syndrome, entdeckt von einem Dr. Thomas M. Disch in den USA. Breitet sich rasch im Südpazifik aus. Warum hat man Haiti auf der Karte an der Wand rot eingekreist?
Ich frage die Chica, sie spuckt auf den Boden. Yakov und die Chica haben was miteinander, das sieht ein Blinder. Ich frage meinen Freund und Ausbilder Corbett.
»Da war ich mal. Als ich noch für den Laden gearbeitet habe.« Ich nicke, er fängt an zu singen und grinst dabei, fletscht auch, ich verstehe nicht gleich, wieso, dazu die Zähne:
Eh! Eh! Bomba! Heu! Heu!
Canga, bafio té!
Canga, mouné de lé!
Canga, do ki la!
Canga, li!
Dann geht er zum Kaffeeautomaten, und Skriba steht, ich weiß nicht wie, auf einmal hinter mir und flüstert: »Das ist ein Voudon-Lied. Weißt du, was es bedeutet? Weißt du natürlich nicht, entschuldige die rhetorische Frage. Es bedeutet: Wir schwören, die Weißen zu vernichten, und alles, was sie besitzen, wir wollen lieber sterben, als diesen Schwur brechen. Das Lied solltest du mal dem Kapuziner vorsingen, der würde es bestimmt nicht mögen.«
Ich möchte wirklich mal wissen, wann Skriba angefangen hat, mich zu duzen. Lesen Sie dies hier, Skriba? Ich mag das nicht, mit der Duzerei.
Siebenhundertzwölfter Tag
Also ein Versuch über Gewalt, empfangene und weitergegebene.
Aus den Fragen und Ermunterungen Skribas, die trotz der neuen Duzerei immerhin nicht distanzlos kumpeln, sondern eher teilnehmend klingen, väterlich, ein Messerspitzchen onkelig vielleicht, schließe ich, daß er glaubt, das Schreiben sei für mich so was wie die Antithese zur Gewalt. Mal sehen.
Kaum. Kurz überlegen: Vielleicht doch?
Nein. Stimmt nicht.
Zur Welt, das ja, und in der kommt Gewalt dann, neben allem anderen hypotaktischen Gekringel, auch mal vor, aber das Schreiben ist zu sehr auch Rausch, um ohne alle Beimengung von Gewalt erfahren zu werden. Violent , so war das seit spätestens 1984, als ich mein bißchen Thema gefunden habe, auf dem ich seither rumspringe; es ist elastisch. Das hat sich nicht geändert, als daraus ein Beruf wurde – hat ja die Hanseln dann immer gestört, da schlugen sie an, da gaben sie Laut –, als zum Beispiel dieses rührend dumme situationistische Schnapswrack aus Hamburg anklagend-zerknittert schrieb, meine Texte kämen »aufgedreht daher« – Heiland, was ein krisper Polemiker, diese feine Zurückhaltung, schläft selbst ein angestochener Schimpanse sofort von ein. Oder wenn der liebe Dieter Fuchs mal wieder meinte, es wäre alles zu dick
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