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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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zwanzigmal egaler vor als damals, dieser Teil der verkehrten Welt ist wirklich untergegangen, good riddance. Obwohl: Genau wie mir nach dem Abi noch lange die dumme Schule gefehlt hat, wo man sich mit ein bißchen Verstand alles rausnehmen konnte, lesen, schlafen, den gesamten Vormittag besoffen und verliebt im Sitz hängen, solange man nur anwesend war, denke ich manchmal, die Aussicht darauf, im Löwenbaby über ein Schlachtfeld zu rasen, würde ich gern dagegen eintauschen, mal wieder einen verlagseigenen Dummkopf einzuseifen, der sich an einem Granitblock Prosa beteiligt glaubt, weil er mir ein paar Wochen lang erstklassige Schwierigkeiten macht. Das war alles so harmlos, ein Riesenspaß im Grunde, reiner Intelligenzzehnkampf, Ausdauerprobe.
    Was Lügen ist, habe ich von meinem Vater gelernt; was Gewalt ist, von meiner Mutter.
    Lügen: der Geruch von Bier am Abend, das Versprechen, morgen machen wir dies und das zusammen, und dann ratzt er den halben Tag weg, stinkebetrunken, kann sich an nichts erinnern, und obwohl er so lustig und freundlich und wirklich knuddlig war, in diesem Zustand der mildmiefenden Verzaubertheit (brutal habe ich ihn nie erlebt, er war eher Melancholiker als Choleriker), durfte man das alles nicht als Zuneigung auffassen, nicht als verbriefte Äußerung väterlicher Bindung, sondern eben bloß als Säufersentimentalität, die er auch irgendeiner Pflanze oder einem alten Mantel entgegengebracht hätte, wenn das dumme Kind grad nicht dagewesen wäre. Daß man also einen Anschein erwecken kann, und in Wirklichkeit ist alles Spülwasser – das habe ich da begriffen und abgespeichert. Wer andauernd nett ist, ist in echt bloß nicht ganz bei sich, hieß die Summe.
    Seiteneinfall hierzu – das Geld: Ich hab’ die Gewohnheit später auch entwickelt, wir sind ja Gefangene der ganzen Kinderscheiße, bis uns der Abdecker austrinkt. Jedenfalls lagen bei meinem Vater immer diese ganzen Münzen rum, überall, auf dem Tisch, Kleingeld, Zehnerle und Fünferle, auf dem Fernsehkasten, in den Ritzen der Sofas. Ich habe das manchmal gesammelt und neben dem großen Sessel, grau wie der Elefant im Zoo und weich wie ein Stofftier, zu kleinen Türmchen aufgeschichtet. Dagobert Duck kannte ich damals wahrscheinlich noch nicht, namentlich auf keinen Fall, aber doch den Gedanken: Reichtum.
    Weil ich mir das als Kind gar nicht anders vorstellen konnte: Es liegt hier überall Geld rum, also muß dein Papi wohl reich sein. Er war aber bloß ein Schlamper. Andererseits hat er mir wirklich immer viel geschenkt, von seinen Vertreterreisen mitgebracht, Platten und Cowboys und Indianer, ein Steckenpferd, das ich mit sechzehn, siebzehn noch hatte – weiß ich noch, weil ich als beginnender Heavy-Metal-Fan im Spaß darauf »Gitarre gespielt« hab’ – und Süßigkeiten, Knabberdreck. Also: Geld überall plus Geschenke, ich wiederhole: Dein Papi ist reich. Habe ich dann so rumerzählt, stolz und begeistert, bei anderen Kindern.
    Und da hat mich die Mami dann zusammengeschrien, das war der erste Blitzschlag der Gewalt: Spinnst du, du Bengel, so anzugeben, Herrgottsack, nichts als Ärger, wir sind nicht reich, merk dir das, Scheiße Arsch, Bengel Sauerei, Hure Scheiße noch mal, und so fort, die ganzen Kosewörter, die ich später, nach der Scheidung, so oft gehört habe, als ich dann bei ihr wohnen durfte. Ihm war’s bloß versoffen peinlich, er saß dann da und aß was Selbstgekochtes.
    Daß meine Eltern – gemessen an den Eltern, die es sonst noch gab – das Allerletzte waren, habe ich erst in der Pubertät richtig kapiert, und von da an noch mal zehn Jahre lang geglaubt, es wäre wahrscheinlich meine Schuld.
    Gewalt: Sie erzeugt das Gefühl, daß man überhaupt nicht gefragt ist, und ist mit diesem Gefühl, wenn man ihr und dem Gefühl lange genug ausgesetzt war, sehr leicht zu verwechseln, auch wenn Ohnmacht durchaus anders erzeugt werden kann als mit Gewalt.
    Ich wohnte also, als ganz Kleiner, noch mit beiden Eltern zusammen. Dann drehte meine Mutter durch, von meinem schwachen Vater verhalten, das heißt: hinterhältig indirekt gepiesackt, der sich seinerseits von ihren Launen gequält fand, das hat sich später rekonstruieren lassen, gegenseitiger Terror, presto, »Nervenzusammenbruch«, Modekrankheit der siebziger Jahre, Klapse, fertig. Besuch dort, an Vaters Hand: Die hatten, glaube ich, wenn ich’s nicht doch später erst wo gelesen habe, Netze im Treppenhaus, damit keiner runterspringt, und der Name des

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