Für immer in Honig
sich wie computer animiert vor meiner Nase dabei –, daß mir das womöglich mal gehört hat.
Lenin. Wie lange hat man an den Namen nicht gedacht.
»Wieso hatte ein kontemplativer junger Mensch ohne Finger im politischen Spiel so ein Buch? Was willst du mit Taktik, in deinem Nest, mit deinen drei Freunden?«
Er wartet meine Antwort nicht ab, sondern klatscht es auf den dunklen Holztisch, ich rieche Tee und starre das Heftchen an, er geht hinaus. Später, nach dem Lauf- und Kickboxtraining mit Corbett, lese ich drin, und finde das Gegenteil von dem, was ich vorhin als das schulbekannte Wesen des Marxismus referiert habe: »Wird diese Situation lange anhalten, und wie weit wird sie sich noch verschärfen? Wird sie zur Revolution führen? Das wissen wir nicht, und niemand kann das wissen. Das wird nur die Erfahrung lehren, die uns zeigt, wie sich die revolutionären Stimmungen entwickeln und wie die fortgeschrittenste Klasse, das Proletariat, zu revolutionären Aktionen übergeht. Hier kann überhaupt weder von irgendwelchen ›Illusionen‹ noch von ihrer Widerlegung die Rede sein, denn kein einziger Sozialist hat jemals und irgendwo die Garantie übernommen, daß gerade der jetzige (und nicht erst der nächste) Krieg, daß gerade die heutige (und nicht erst die morgige) revolutionäre Situation die Revolution hervorbringen werde.«
Siebenhunderteinundsechzigster Tag
Ich stehe auf. Er schmeißt mich um.
Er tanzt vor mir hin und her wie Muhammad Ali, in seinem durchgeschwitzten weißen Herrenunterhemd und seinen Khakishorts, er hascht und wischt und patscht nach mir, bevor er den nächsten Tritt plaziert: Solarplexus, und uff, und rumms, Bäumchen fällt, Sand am Arsch.
Wieder hoch. Er wischt wieder nach mir, und ich bin plötzlich so sauer wie noch nie, wer ist das überhaupt, warum muß ich mir das antun, ich habe nur einen Koffer, omnia mea mecum porto, leider bin ich tot, und ich schubse ihn, wirklich, wie Kinder schubsen, vor die Brust, und er reißt die Augen auf, grinst, fällt nach hinten, rollt sich ab. Stemmt sich halbhoch in die Hocke, schaut mich von unten rauf an, raubtierhaft hungrig und wie unter Strom. Dann schnellt er hoch, packt mich mit beiden Händen an den Armen.
Er schüttelt mich, den gelähmt Verdutzten, und lacht ehrlich erfreut: »Now you’re playing. Ich dachte, du wachst nie mehr auf.«
Dann wirft er mich nieder, damit ich nicht übermütig werde.
Siebenhundertzweiundsechzigster Tag
Die Lenin-Broschüre, das ganze Genecke deswegen – ein Vorspiel: Heute mittag legt er mir also nach dem Essen wortlos eine Klarsichthülle mit Zeitungsausschnitten der letzten drei Jahre auf den Tisch – erste interessante Information: Mein altes Blatt erscheint noch, Frankfurt haben die Zombies nicht kassiert. Die Ausschnitte stammen ansonsten aus der NZZ , der Süddeutschen Zeitung und paar kleineren deutschsprachigen.
Alle betreffen, wenn ich mir das Bild richtig zusammengesetzt habe, die Reaktionen der linken bis liberalen Intelligenz auf den »großen Totentanz« (der Ausdruck stammt scheint’s von Martin Amis und ist allgemeine europäische Sprachregelung geworden), d. h. die Ereignisse nach dem Aufbrechen der Höllenkruste, nach der großen Zombie-Offensive. Mechanischstes Ergebnis ist ein neues Buzzword: »postmortale Zivilisation«.
Ein Herr Agamben aus Italien (Rom ist weg, das Land aber offenbar doch noch ein Staat, der wird bloß von Neapel aus regiert) hat ein Buch drüber geschrieben, dessen Kernthese lautet, die Zeit der »Biopolitik« des zwanzigsten Jahrhunderts (welches er als das »letzte sterbliche« apostrophiert) sei vom Totentanz beendet worden, was wir jetzt erleben, sei der »Widerstreit verschiedener Immortalitäten«, der logisch (meint: was man so alles zusammenassoziieren kann, wenn man sonst nichts zu tun hat) damit zusammengehe, daß die alten politischen Regimes »Produktionsregimes der negativen Homöostase des Lebendi gen« gewesen seien. Auf normal heißt das vermutlich: Lebendige Menschen müssen essen, sich kleiden und wohnen, Zombies und Zombotiker haben andere Prioritäten.
Stimmt bloß wieder mal rein gar nicht, der Gedanke, wie immer bei offenen und verdeckten Foucaultschülern dieses Schlags (der Ausdruck »Biopolitik« verrät die unsaubere Herkunft): Denn Zombies fressen Menschen, und Zombotiker brauchen nicht nur Kleidung, sondern sogar Metallpolitur für ihre exzentrischeren Chassis- und Exoskelett-Bauteile.
Jedenfalls aber ist der
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