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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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ausgepackt, es wird bestimmt wieder sehr gesellig werden.

ZWEIUNDDREISSIGSTES KAPITEL
    Essensausgabe • Unterwegs nach Arbeit
    1  Kribbelbeinige, im Himmel gerade eben noch quicklebendige weiße Monster, die tot zu Boden fielen: mehr Morgenflocken. Der auf den Autos und Gebäuden und Litfaßsäulen und Lampen liegende Schnee war harter Schaum, giftiger Zucker, Lack der Eishölle, karpfenblau. Die Schatten zwischen den Häusern drückten etwas aus, waren nämlich geduckt, das hieß: Wir kennen kein Verfahren, uns zu vergewissern, ob dies derselbe Morgen ist wie immer, denn es gibt keinen andern mehr. Ist es also derselbe, an dem Ihr der Kollaborateurin das letzte Mal zugesehen habt, ist es ein späterer, der Morgen darauf vielleicht, eine Woche später, drei Monate, ein Jahr? Es interessierte sie selbst nicht, in ihrer endlosen kalten Zeit. Warum sollte es Euch interessieren?
    Sie ging mit ihrem Körbchen den vorgeschriebenen Weg, schnob ihre bescheidenen Dampfwölkchen aus der erkältet roten Nase und schimpfte im Kopf auf den Exfreund, der tot oder sonstwo war. Als trüge sie die Vergeblichkeit persönlich Huckepack, ging sie krumm vorwärts: Er immer mit seiner Sarkasmusrallye, seine Überlegenheitskrämpfe die ganze Zeit, das Gehabe.
    Eine Gänsehaut auf beiden Armen, Eis im Nacken, die Beine schwach vor Unterernährung, schleppte sie ihr Los über die Brücke, den S-Bahn-Graben zur Dänenstraße hin. Dieser Typ: das Letzte. Ich wäre gern oben, raus hier. Er redete, als wäre er schon dort.
    Redete? Gab was zum besten. Die Sprüche. Wem sollten sie nützen? Wobei ich sie oft witzig fand, aber gezwungen waren sie doch: »Berlin, die verweigerte Apokalypse« zum Beispiel – das hat er plötzlich in der Buchhandlung Hugendubel abgespult, wo wir eigentlich nur hin sind, um ein Geschenk für Tiffys Geburtstagsfeier zu kaufen. Da standen diese »Terrorbücher von allen neuen deutschen Rammsteinschreibern«, wie er sagte, lauter Romane, in denen die Stadt Berlin vereiste, verbrannte, Massenvergewaltigungen in den Straßen, Pyrotechnik, Sadismus, was das Fleisch hergab.
    »Kraftmeierei«, grunzte er und erregte sich sehr. Aber die, diese neuen deutschen Rammsteinschreiber, hatten ihre Romane wenigstens wirklich geschrieben, während er an seinen immer nur rumknackte, endlos, auf dem Computer, im Misanthropenkämmerlein neben dem Schlafzimmer. Einmal, selber amüsiert darüber, hat er ihr gestanden, auf einem langen Spaziergang, vor der furchtbaren Valeriezeit: »Ich habe so viele Romanideen in Dateien, auf Zetteln, in Notizbüchern, ich glaube, ich werde erst einen anfangen, wenn mir nichts mehr einfällt.«
    »Schreib doch auch so einen Berlinfetzen, wenn das jetzt der Renner ist«, hatte sie auf sein Getue im Hugendubel zurückgemault. Er ließ sich aber nicht abbringen vom Thema, wie doof die andern waren, jetzt erst recht nicht, keinen Fußbreit: »Die Scheißstadt ist ja nicht mal dafür gut, daß sie diese Leute nährt, daß sie diese schlechten Bücher wenigstens stof flich gut stopft – Schorsch Grosz und Panizza, das war noch ein Weltuntergangsberlin, aber dieser leere schrödersche selbstmitleidige Mist hier …«
    Worum ging es?
    Um was ganz Einfaches, leider.
    Er ließ sie damit nämlich spüren, daß er nur ihretwegen hergezogen war, und das stellte für ihn, sollte sie wissen, eine größere Gemeinheit dar als noch das derbste Unverständnis seinen schriftstellerischen Blockaden und Problemen gegenüber, die sie, insinuierte er gern, sowieso nicht verstehen konnte. Wie hatte er nicht breit mit sich selbst um die Wette gegrinst, bei einer der letzten Harald-Schmidt-Shows – die schauten sie damals so oft es ging zusammen an, immerhin eine Gemeinsamkeit –, als der große böse Mann seinen Spott zur Abwechslung mal auf Berlin lenkte und seinen demnächst arbeitslosen Redakteur Manuel Andrack aufzog: »Da ziehst du dann nach Berlin , was, und da bist du dann auch immer in Mitte , stimmt’s?« Na ja. Mitte war ohnehin eine Totgeburt gewesen, was bewies das? Dieses Grinsen auf Roberts Gesicht, als selbstgerechte Antwort auf das viel unschuldigere Grinsen Schmidts, der da den Berlinverächter gab, und zwar natürlich nicht, hätte Judith in diesem Moment am liebsten losprotestiert, weil er Ber lin wirklich verachtet hätte, sondern weil von allen irgendwie ge sträubten Rollen eben auch diese oft genug gespielt werden mußte von einem, den das Volk liebte, weil er es nicht schonte. Dieses

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