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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Corbett sagt: »Sechshundertfünfzig Schuß in der Minute, aber du hast ja nur fünfunddreißig bis fünfzig im Kurvenmagazin.«
    »Und ist diese Uzi …«
    »Das ist keine Uzi.«
    »Echt nicht? Ist aber doch schon ein israelisches Gewehr, oder?«
    »Ja. Ein Schnellfeuergewehr Modell Galil SAR , 5,56 Millimeter.«
    »Ich dachte, alle israelischen Schnell… Schnellgewehre wären Uzis. Aber ich konnte mir schon als Kind keine Autos merken oder Fußballer oder sonstigen Jungskrempel. Allerdings auch keine Klamotten oder Pferderassen, also: Ein Mädchen war ich offensichtlich auch nicht.«
    »Sehr interessant. Was konntest du dir denn dann überhaupt merken?« fragt mein Ausbilder, nicht unfreundlich.
    »Geschichten.«

Siebenhundertvierzigster Tag
    Die meisten Träume, die ich hier im Camp träume, handeln vom Erwachen. Ich wache auf nach Krämpfen auf einer Insel voller Sklaven. Alles, was ich um mich sehe, sind Menschen, die lächeln. Keine Gehirntätigkeit. Hier wird nicht gedacht. Auch ich gebe meine Murmeln an der Rezeption des örtlichen Tropenhotels ab, nichts zu bedenken; bitte, brauche ich nicht mehr.

Siebenhundertzweiundfünfzigster Tag
    Stimmt nicht: Es waren keine Zeiten ohne Hoffnung.
    Die trat halt nur sehr versteckt auf, scheu, aber es gab sie: die schlanken weißen Windkrafträder auf verschneiten Feldern hinter Hannover, vom ICE aus gesehen, auf der Fahrt Frankfurt-Berlin, oder die Verhaftung von Saddam Hussein unter so bizarren Umständen, so literarisch, so hoch aufl ösend spitzbubenhaft, daß einem plötzlich alle möglichen albernen Sachen zum Thema »Erdloch« einfallen, zum Beispiel der Nik-Kershaw-Song, den Philip so gemocht hat: Near a tree by a river, there’s a hole in the ground, und der Anrufbeantworterspruch von Alf aus der Folge, in der er telefonisch erpresst wird, und den ich mir dann aufgenommen hatte und auf den eigenen AB gespielt: »Hier ist der Anschluß von Familie Tanner. Wenn Sie anrufen, um jemanden zu terrorisieren, legen Sie sich in ein Erdloch und lassen Sie sich zudecken mit einem Riesenhaufen Hackbratenschlacke.«
    Die kleinen Spitzen, poetische Weltfuge: Grad finde ich in meiner Ausgabe von »Infinite Jest«, die Skriba auf weiß Gott was für Wegen aus dem besetzten Berlin gerettet hat, einen BILD -Zeitungsausschnitt vom 15. Dezember 2003, von dem mir wahrscheinlich kein Engel sagen könnte, warum ich ihn rausgerissen und aufgehoben habe: »Michelle (31) hat sich gut von ihrem Schlaganfall erholt. Die Schlagersängerin (‚Wer Liebe lebt‘) geht aber weiter behutsam mit ihrer Gesundheit um. Sie raucht nur noch sechs Zigaretten am Tag, trinkt kaum Alkohol, geht früh schlafen und nimmt keine Pille«.
    Hoffnung: »There is a crack in everything. That’s how the light gets in«. (Leonard Cohen)

Siebenhundertvierundfünfzigster Tag
    Ich stehe auf.
    »Weißt du was? Die Art, wie du immer wieder aufstehst, die gefällt mir. Du wirst mich nie umschmeißen, Robert, nicht in diesem Leben, wenn du nicht grundsätzlich was änderst an deiner … Einstellung. Aber so hartnäckig dabeizubleiben, und das … after a resurrection o’ this sort … well, I just gotta say, I really respect that.«
    Er wirft mich nieder.

Siebenhundertneunundfünfzigster Tag
    »Also, du warst Marxist, ja?«, ich kann nicht behaupten, daß er dabei spöttisch klingt, aber doch wie lauernd, darauf, was ich wohl sagen werde.
    »Ja, war ich. Ich dachte halt, gewisse Gesetzmäßigkeiten von der in dieser Lehre entwickelten Art in den Nachrichten wiederzufinden, es paßten die meisten Daten rein und …«
    »Und das hat dich dann enttäuscht? So wie diese Leute, Lyotard, Castoriadis, die von der Sache ›Sozialismus oder Barbarei‹ zugunsten einer, nun, sagen wir: liberalen Demokratievorstellung abgekommen sind? Und die folglich gern behauptet haben, der Marxismus sei eine Lehre von den gesellschaftlichen Naturgesetzen, die sich an der wahren Entwicklung blamiert habe, weil die Revolution tatsächlich nicht eintraf?«
    »So haben wir’s jedenfalls gelernt, im Gemeinschaftskundeunterricht. Den jungen Menschen zieht dieses Bild vom Marxismus, so falsch es ist, aber an, statt ihn, wie beabsichtigt, abzustoßen: Eine rigide Lehre, und dann noch eine vom notwendigen Ende des Bestehenden, was will man mehr?«
    »Und du weißt, daß es verkehrt ist? Dieses Bild vom Marxismus?«
    Er gibt mir ein Büchlein: »Briefe über die Taktik« von Lenin. Ich er innere mich vage – Skribas Zigarillorauch kräuselt

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