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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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kann Karin ab und zu mal mit Jim im Jeep rumfahren, an den Fluß, weg vom Camp. Schäferstündchen, auch so ein Ausdruck, von dem anständigen Menschen schlecht wird. Wie »Nahbeziehung« oder »Konferenz«.
    Heute mittag, bei ihrem herben Tee: »Manchmal verfluche ich mein Los, wenn das nicht zu pompös klingt, und wenn doch, auch egal.«
    Sie hat immer ein bißchen Ruß im Gesicht, oder auch Erde. Die Kinder halten sie in Form, häufig muß sie sich den Schweiß abwischen, sieht meistens aus wie meisterhaft gegrillt. Gesund also, und der Kontrast zu ihrem honigblonden Haar ist ziemlich attraktiv. Lachfältchen um den Mund. Bin ich verknallt? Reife Mütter statt Schöninchen, ein neuer Lebensabschnitt?
    Ich frage sie, was sie damit meint: ihr Los? Den aufgegebenen Beruf, die Wissenschaft? »Nee, das mit den Kindern hauptsächlich. Ich meine, du warst, ich weiß nicht: ein Bohemien, oder? Als Kulturjournalist, im tollen Berlin der ersten Jahre von Schröders Berliner Republik?«
    Ich zucke mit den Schultern: »Technisch gesehen stimmt das vielleicht, dieser Ausdruck, Bohemien, wir waren ein erfolgreich befriede tes, infantilisiertes lumpenintellektuelles Pack, einige mit ganz auskömmlichen Konsumbudgets, ich zum Beispiel, da mußt du die Lumpen metaphorisch hören. Meine Zeitung, das habe ich in Ehren gehalten, und auch die Kollegen, nichtbohemistisch wie sie da waren, sorgten für Ausgleich, für Stabilität, paar alte Denkdragoner dabei, Vorbilder, was die Haltung angeht. Ansonsten, in dieser Bohemeszene, regierten die unsicheren Beschäftigungsverhältnisse – Zeitverträge, Quasi-Praktikantenstatus, keinerlei geregelte vertikale soziale Mobilität, null Sozialversicherung oder Krankenversorgung – in diesem ganzen Kreativ- und Content-Provider-Umfeld. Das, äh, führte dann schrecklicherweise zu …«
    »Wozu?«
    »Na … Es waren Leute voller Illusionen und absurder Selbstverwirklichungsideologien, die sich die ganze Zeit inhaltsleer ›verabredet‹ haben, auf der Suche nach Zerstreuung, Betäubung. Ewige Verlängerung der Pubertät, wo man morgens in der Schule netzwerkartig klären muß, was für eine Kneipe einen abends auffängt. Ein einziges gegenseitiges Beilaunehalten völlig ichschwacher Menschen, die sich sofort mittels Atmenvergessen umgebracht hätten, wenn man sie mal zwei Minuten mit sich alleine gelassen hätte. Sogar Sonntag abends sind wir ausgegangen, selbst die mit vernünftigen Jobs haben das gemacht, wie ich, denn man brauchte ja das Hirn nicht am Montag, zum Weiterkommen, man trat ja eh qualvoll auf der Stelle. Das Mittelalter: unter der Woche Fron, am Samstag besaufen am Dorfbrunnen. Nur daß jeder Tag ›unter der Woche‹ war und jeder Abend ›Samstag‹. Extrem trostlos also, extrem untröstlich.«
    »Und da bist du dann mit deinem … Experiment reingesprungen? Mit dem blutjungen Mädchen?«
    Sie rümpft die Nase. Simon fragt nach Trauben. Ich zucke wieder mit den Schultern: »Seemed like a good idea at the time. Ich dachte, vielleicht regt sich jemand auf, dann wäre sichtbar geworden, daß das scheinbar regelfreie Dahingleiten in Wirklichkeit ein sehr angepaßtes, extrem braves Zeittotschlagen war. Aber natürlich kriegt man das auf diese Weise nicht raus. Solche existenziellen situationistischen Performance-Protestformen und Furzideen wie die von mir und Michi Beer konnten da nur als … Bereicherung des Klatschpools wahrgenommen werden.«
    Sie sagt Simon, er solle zum Fuhrpark rüber, dort gäb’s was für ihn, Eldad hätte gerade erst Früchte am Genezareth besorgt. Dann schaut sie mich an, als ob sie in meinem komischen Papier-mit-Zeichen-drauf-zwischen-ledrige-Haut-gespannt-Gesicht irgendwas markiert hätte, um darauf zurückzukommen, und fragt: »Was wäre denn dein Statement gewesen, statt diesem Klatschbeitrag? Was hättest du denen und dir denn sagen mögen?« Ich will vergormt sein, wenn ich das weiß.

Siebenhundertsechsundzwanzigster Tag
    Eine Ziege, kaum größer als anderthalb Katzen und ziemlich abgemagert, steht unterm Verdeck, schaut rein, in ihren Augen schimmert mein Monitor. Weiß sie, daß sie in Zeiten lebt, die wieder so groß sind wie die des Alten Testaments, wo es auch die Ziegenhirten waren, die alles aufgeschrieben haben; genauso groß, und genauso eindimensional?

Siebenhundertsiebenundzwanzigster Tag
    Paranoia?
    Jim schmeißt mich auf den harten Boden. Ich stehe auf. Er schmeißt mich hin. Ich trete, ich versuche, mich abzurollen, wenn er mich

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