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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Jahrzehnte währen mochten, oder doch so lange, bis es den Wissenschaftlern der Menschen gelang, Solanum zu synthetisieren, beziehungsweise der neuen Krankheiten irgendwie anders Herr zu werden.
    Wer Handelskontrakte unterschreibt, meint es nicht besonders grimmig mit der Belagerung: An Ileanas Logik war nicht zu rütteln, soweit Judith sich dazu was dachte. Bloß stand es um diese Logik nicht besser als um die ewigen Schlaubergereien Roberts gegen Berlin, wie es vorher gewesen war: Was half’s? Nix.
    Was gab es heute hier?
    Kaum mehr als ebenfalls nix, sah Judith Neumann, sobald das Tor geöffnet wurde.
    Gemüse boten sie den Herandrängenden an, Tomaten, die krank und winzig aussahen, Frühlingszwiebeln, hier »Schluppen« genannt – das Wort hatte ihr nie gefallen, sowenig wie »Schrippen« für Brötchen. Was noch? Die Hungrigen reckten die Hälse: Aha, ein ganz kleines bißchen Sonnenblumenöl in winzigen Plastikfläschchen, draußen wahrscheinlich als Warenproben geführt, ferner Brot, das wie zusammengebackener Baugrubensand aussah und wie alte Socken roch, wenn man es im Backofen aus dem Eisklumpenzustand auftaute, wie Judith mehr als einmal hatte erleben müssen. Dafür schmeckte es nach Zahnstein, wenn man es, wer A sagt, muß auch B sagen, am Ende in den Mund nahm.
    Wer solche Nahrung kriegen kann, braucht keinen Dreck mehr.
    »Mami? Maami?« – ein Kind von vielleicht acht Jahren spielte penetrant weinerlich leiernd die Rolle »Kind«. Das war auch in beschaulicheren Zeiten was furchtbar Unangenehmes, jetzt aber – »Mami, ich hab’ dich ge sucht , ich hab nich gesehen, wo du warst , Mami M aa mi …« – war’s gefährlich. Ein strenger, in Wahrheit freilich flehentlicher Blick der Geisel Mutter, als zwei der Auspacker am Wagen aufmerksam wurden auf das Getue, sagte dem Balg: Reiß dich zusammen, Junge, oder wir enden als Blutwurst.
    Judith versuchte, möglichst nicht hinzuhören, nicht hinzusehen. Schon hatte sie ihren guten Platz, nah am Wagen beim Tor, verloren, war ins Abseits geschoben worden, natürlich von den Russinnen, die wie immer als Keil formiert drängelten: »Jeschtscho bolsche!«
    Die höchstens dreißigjährige Anführerin wollte mehr, einen Nachschlag vom Fleisch, andere bekräftigten den Wunsch, die Verteiler drohten, Szenen wie aus »Oliver Twist« (na gut, da hatte es kein Fleisch gegeben).
    »Wmmm, wmm«, murmelte Judith in den Mummelaufschlag ihrer Jacke: Warum bin ich bloß wieder hergezogen, in dieses Viertel? Ich hatte ihn hier doch allein zurückgelassen, mir ging’s doch gut, als Untermieterin auf Zeit bei Ileana. Dann fing die große Scheiße an.
    Kurz danach war Ileana krank geworden, und wegen der Gerüchte und Regierungsmitteilungen hatte Judith es mit der Angst zu tun gekriegt: Diese roten Pusteln, dieser ganz und gar verschleimte Hals, was, wenn es sich um eine dieser Seuchen handelte, diese amerikanische Supergrippe oder eine der Mutationen aus China und Rußland, die jetzt ganze Kontinente lahmlegten?
    »Ich will dir nicht zur Last fallen, du bist krank«, hatte sie sich also rausgeredet, »und ich möchte auch mal nachgucken, was Robert eigentlich da macht, in der Wohnung, wenn er schon nicht rangeht, ans Telefon mein’ ich. Ich hab’ noch einen Schlüssel.«
    Zur Last fallen: Pflegen mußte sie die kranke Freundin nämlich nicht, das tat Ileanas Boyfriend, ein Amerikaner, der wegen Sperre und Quarantäne jetzt festsaß im plötzlich sehr kleinen Berlin. Judith hatte die verhaßte Wohnung verlassen vorgefunden und sich also »provisorisch« wieder in ihr eingerichtet. Dabei war’s geblieben.
    Nein, kein Blick darauf, wie es gewesen war. Es ist alles anders jetzt als damals: keine gutbestückten Läden mehr in der Umgebung, zum Beispiel.
    »Dorogo, dorogo«, schimpfte eine der Russinnen: das mit dem Brot, das geht so nicht. Ein paar Deutsche, darunter Judith, stimmten ihr gepreßt und beiseite, aber als deutlich hörbarer Brummchor zu: »Ist wirklich zu teuer.« »Teuer, ja.« »Viel zu teuer.«
    Der »extra«-Supermarkt, in dem die Kollaborateurin früher mit Ro­bert einkaufen gegangen war, hatte sich in eine reine Kühlhalle verwandelt. Dort hingen, behaupteten die Flugzettel der Résistance, die man manchmal frühmorgens auf der Straße fand, Leute an Haken: Alte, Kranke, Unvorsichtige.
    »Maslo!« forderten die Russinnen, Butter, und Honig: »Mjod!« in den kleinen runden Plastikbehältern, wie im Hotel.
    »Dostatotschno.«
    »Ja«, sagte auch Judith:

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