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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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sah er schon am Stempel: »Der Polizeipräsident in Berlin«, dummer Bär, alberne Krone.
    Dann las er den Text auf der Vorderseite:
    »Bescheinigung.
Sie wurden mit Ihrem Einverständnis wegen der mündlich genannten Ordnungswidrigkeit verwarnt. Auf Ihr Weigerungsrecht wurden Sie hingewiesen.
Der Polizeipräsident in Berlin.
5, – € Verwarnungsgeld erhalten.«
    »Die andere Seite auch noch«, sagte Cordula.
    Da stand ein verwaschenes Datum in der Datumszeile, die DienstNummer »24030809« und eine unleserliche Klauenunterschrift, darun ter der Vermerk: »Nur gültig mit Wasserzeichen (Blütenkelch) und Blindprägung (Berliner Bär).«
    Andy lächelte. Cordula sagte: »Es war ziemlich gegen Ende des … wie haben die Zeugen Jehovas das immer so fein genannt? ›Gegenwärtiges System der Dinge‹, tja. Ich hab’ ein halbes Jahr in Berlin gewohnt, im Hotel Maritim am Bahnhof Friedrichstraße, und wegen der sich häufenden nächtlichen Zombieattacken stand da rings alles voll mit grünen Bullenwagen. Morgens saßen die Cops in ihren Cockpits und tranken Kaffee im Pappbecher, oder standen halt so rum – und einmal bin ich also beim Dussmann einfach über die Straße, weit und breit kein Mensch, kein Auto, nichts, und da hüpft so ein Zwerg aus dem Wagen, höchstens zwanzig Jahre alt, Fresse voller Pickel, im East-17-Mi­li­tary-Wichtig-Kampfanzug, und schreit mich an: ›Junge Frau! He, hallo, junge Frau!‹ Ich bin ja hö flich , großer Charakterfehler, bleibe stehen, er holt mich ein, vor dem Autoladenschaufenster, und fängt sofort atemlos an, mir einen jämmerlich staatstragenden Vortrag zu halten: ›Haben Sie die rote Ampel gesehen?‹ Ich: Ja. Er: ›Na und da rennen Sie einfach so drüber? Ihre eigene Sicherheit, da kann eine leise Straßenbahn kommen, dann liegen Sie drunter, die merkt man gar nicht, so leise sind die …‹ Wie gesagt, irrational wie nur was, komplett verrückt: ›Ich muß Sie verwarnen, und wenn Sie nicht bezahlen wollen‹ – Ich: Nein, nein, schon recht, wieviel macht das, Kamerad? Konnte der gar nicht fassen, daß man sich nicht aufregt, daß man es nur hinter sich bringen will. Ein gefährlicher Dummkopf erster Klasse – denn natürlich ging es um gar keine Ordnung irgendwelcher Art, sondern darum, daß man sich vor dem Bullenwagen und seinen Insassen einfach kindlich fürchten soll. Dafür die fünf Euro, nicht fürs bei-Rot-über-die-Straße-Gehen. Mit Ihrem Einverständnis. Und wenn man so einen Mist mal angefangen hat, siehe Gleichbehandlungsgrundsatz, dann muß man jedem ­Punk­rocker und jeder aufgeschminkten Hauptstadt-Susi nachlaufen, die ja auch, wie jeder normale Mensch überall auf der Welt, bei Rot drüberrennt, sofern kein Auto kommt. Und siehe, das machte der folglich den ganzen Tag: Fluch des einen ersten Mals, die eigene Bosheit, die einen festnagelt darauf, ab diesem Augenblick andauernd im Dienste des allerletzten Quatsches auf den Beinen zu sein – so wie die Nazis noch nach dem Umschlagen der Blitzkriegphase in eine langgezogene Niederlage überall in Europa, wo sie noch nicht mit Waffengewalt verjagt worden waren, Juden ausfindig machen mußten, um sie zu deportieren, selbst als sie wirklich Wichtigeres zu tun hatten, im eigensten Überlebensinteresse. Gefährliche Dummköpfe: Das ist Faschismus, das ist Projektion, das ist der pure Haß auf freie Menschen oder solche, die dem gefährlichen Dummkopf frei vorkommen.«
    Andreas nickte und nippte am Bourbon auf Eis. Dann erinnerte er an den zweiten Punkt: »Planlose Herrschende?«
    »Unbedingt. Denn merke: Es gab keine Aussicht auf ein neues Akkumulationsregime. Der Fordismus als Produktionsform war von der Dynamik der steilen Anhäufung des neuesten Reichtums durchlöchert, überall in den fortgeschrittensten Staaten machte sich die dritte industrielle Revolution plötzlich, so ab Sommer 2001, nicht etwa wertschaffend, sondern schmerzhaft zersetzend bemerkbar: Etablierte Ausbeutungsbefehlsketten hatten Bruchstellen gekriegt, man würgte die noch Beschäftigten mit immer mehr sozialen Zumutungen, um das Arbeitslosenheer mit dem so erpreßten Geld bei Laune zu halten, ein Wettlauf ins Nichts. Der Monopolismus und seine Funktionäre: desolates Bild. Was haben unsere besitzenden Freunde also gemacht? Frag sie, die mit uns kungeln, um sich aus der postapokalyptischen Welt rauszu­lavieren. Frag sie, und Jeanne und Carl, Signore Buonarotti, Sagai-San und Monsieur Plini werden dir bekennen: Wir haben irgendwie

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