Für immer in Honig
so ein Hermann-Hesse-Gefühl, wie übrigens auch auf den spanischen Inseln. Mußt mal ›Die Insel des zweiten Gesichts‹ lesen.«
Mußt mal dies lesen, mußt mal das lesen: Wo immer »Cola« – wie manche ihrer Pfauenkriegerinnen und vertrauten W sie nannten – mit ihren Leuten wohnte, und wenn es nur für drei Wochen war, wartete eine Bibliothek auf Andy, die sie sich anscheinend vorausschicken ließ. Klassiker standen da drin, von Plato bis zur sogenannten Postmoderne, von Homer bis Gaddis, Vergil bis Wallace Stevens, Sophokles bis Hacks, dann natürlich Linke und Utopisten, Sozialismus, Anarchismus, Science-Fiction, ferner Archivzeug: über die Kriege, den Faschismus, diese ganzen halbvergessenen Ungeheuerlichkeiten des zwanzigsten Jahrhunderts, die Andy nicht selbst mitbekommen hatte, aber bald zu kennen glaubte, als hätte er’s. Das Zeug las er am Strand, oder auf der Veranda, und schrieb, was er sich dazu dachte, in kleine blaue Heftchen, für sein Buch.
Im November des vierten Jahres wurden die Wellen schwarz und schossen hoch über die Ufermauer auf die Küstenstraße. Was an Sommerleben noch übrig war, verschwand, und die Strände lagen trostlos und leer unter dem Mistral und dem Regen. Einmal wehte so ein Regenguß Valerie herbei, die in letzter Zeit viel solo oder mit anderen W herumreiste, ohne Andy. Sie waren eine Woche allein mit dem Kind und Carlo, Andys damaligem Liebsten, dem jungen Römer aus der Dusche, der jetzt ein Dichter geworden war, Autor schwermütiger apokalyptisch-dantesker Kleinepen über Solanum und verfaulende Städte. David Josua konnte schon sozusagen sprechen, nur für eine konkrete Sprache hatte er sich noch nicht entschieden, das war sehr niedlich. Einmal verführten Carlo und Andreas die Messerfrau, während der Junge oben spielte. Das passierte im Keller, am Holzofen, und es war alles sehr geil und schön, wie am Anfang der Abenteuer. Dann mußte Valerie nach Südamerika, mit zwei Pfauenfrauen, die sie abholten und sich ums Kind kümmern wollten, französische Lesben in Radrenn-Klamotten waren das. Kurz darauf kam Cordula vorbei, stieg in der Villa ab wie die Königin von England, mit sechzehnköpfigem Gefolge, und eröffnete die Partysaison an der Côte.
Hier also lernte Andreas Jeanne Alber kennen, eine in der Schweiz erzogene Franko-Amerikanerin aus dem internationalen Geldadel, hauptberu flich ökomisch-diplomatische Repräsentantin eines geheimnisvollen Superreichen namens Colin Kreuzer.
»Jeanne ist eine Frau, die auf die W setzt und weiß, warum. Trauen sollten wir ihr nicht, aber helfen kann sie uns, und wird was davon haben«, sagte Cordula sturzbesoffen auf der Treppe zum Haupthaus während einer besonders derben Party, damit Andy Bescheid wußte. Also beschloß er: Die will ich untersuchen.
6 Es gelang ihm ziemlich schnell, Jeanne weiszumachen, sie hätte sich in ihn verliebt.
Ein halbes Jahr, nachdem sie einander kennengelernt hatten, sagte sie in Mexico zu ihm, auf der Baustelle des größten medizinisch-kommerziellen Forschungszentrums der Welt: »Ich dachte echt, ich würde dich lieben müssen – und jetzt sind wir so dick zusammen, daß ich nicht von dir lassen kann, obwohl ich weiß, daß das mit Liebe nicht viel zu tun hat. Ich könnte gar nicht mehr ohne dich.«
Darauf stießen sie mit mexikanischem Bier an und fanden sich toll.
Jeanne zeigte ihm, was nicht in den Büchern stand: Wie man eine verdeckte Subwirtschaft, die in eine existierende Wirtschaft eingebettet ist – »Es geht bei allem um Topologie, um Räume und Einbettungen, laß dir das mal von Lena Dieringshofen erklären« –, aus sich hinaustreibt: »Echt, Andy, wir konnten es selber kaum glauben. 1985 betrug der Weltmarktanteil der damals fortschrittlichsten Branche, der Halbleiterindustrie, nur 1,5 Prozent, 2000 schon 5 Prozent.«
Andy, der sich beim Lesen von Cordulas Büchern eine Marx-Infektion gefangen hatte, notierte das, und schrieb dazu: Ein Produktivkraftsprung kann die Produktionsverhältnisse durchrütteln, aber nicht umschmeißen, das kann nur eine Revolution.
Jeanne fragte ihn ihrerseits genauso gerne aus: »Was ist man, Andy, wenn man kein W ist, aber den W hilft, und von Frauen wie mir bewundert wird? Sag’s mir auf Poetisch – du willst doch Schriftsteller werden!«
»Man ist ein…ein gespenstischer Widerhall vor einer geborstenen Wand«, sagte er, und fragte sich, was er an ihrem Rücken so liebte. Dann schüttelte er den Kopf: Blöde Frage, der Rücken
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