Für immer in Honig

Andy kriegte trotzdem kein Wort am Kloß im Hals vorbei, als sie seine leblose Hand nahm und sie drückte. »Angenehm.«
    Widerstandslos ließ er sich danach von Cordulas Lieblings-Sicherheitsgorilla – tatsächlich eine Art Affe, allerdings aufgrund der schnauzenartig hervorstehenden Kinn-Mundpartie auch ein bißchen wölfisch, insgesamt wohl eine Art Pavianmensch, den man erst später zum Gorilla umgerüstet hatte – beiseite schieben und saß fortan in der hinteren der beiden Reihen im Sechs-Personen-Kabinchen. Selten in seinem neuen Leben hatte er’s bis dahin nötig gehabt, aus einer Position der Unscheinbarkeit heraus Informationen aufzuschnappen. Meistens fragte er sonst direkt, was er wissen wollte, und jedermann war froh, es ihm zu sagen. Hier aber lauschte er dem leisen, konzentrierten, auch verspielten Gespräch zwischen seiner Chefin und derjenigen der freien Welt, bekam nur Fragmente mit und hatte wohl gerade deshalb endlich einmal das Gefühl, bei etwas wirklich Wichtigem Zeuge zu sein: »… mir eine verbrannte, verätzte und verstrahlte Erde hinterlassen …«, bemerkte die Präsidentin zwischen zwei Arien, nicht bitter, sehr sachlich, und Cordula erwiderte, ebenso nüchtern: »… Fraktur ernst und ­lang­an­haltend, allen sonstigen Erschütterungen zum Trotz, aber Sie sind trotzdem nicht auf Reuland angewiesen – nichts, was da passiert, stellt die amerikanische geopolitische Hegemonie in Frage …«
    Die Präsidentin schien sich das eine Weile zu überlegen. Dann sagte sie, und diesen Satz merkte sich Andy, der sich ganz sacht nach vorne lehnte, um nicht die Aufmerksamkeit des Pavians oder der beiden breiten Hillarybeschützer zu erregen: »Die NATO -West ist die erste wirklich europäische Angelegenheit seit den napoleonischen Kriegen, der erste erfolgversprechende Neuordnungsversuch mit politischem Inhalt, anders als bei Hitler und Stalin.«
    Cordula lachte: »Ach was, Reuland ist doch kein Bonaparte. Er beerbt Chirac, Schröder und den immer noch vor sich hin möhrenden Putin – also ein paar Erzopportunisten, die zu dritt kein halbes Dutzend Prinzipien aufbringen konnten, mit denen gegen die USA Front, geschweige Staat zu machen gewesen wäre. Die deutsche Motzerei damals in Sachen Irak war eine ­Wahl­farce …«
    »Nein, ein Test, wie weit man gehen kann«, erwiderte die Präsidentin. Andy bewunderte von hinten ihre militärisch-priesterliche Kopf haltung: Sieht aus wie ein Weißkopfadlerweibchen, ein Wappentier, dachte er, und das »a« im Wort »far« der Wendung »how far they can go« war so hell, das »o« im Wort »go« so dunkel, daß er sich sagte: Wenn irgendwann ein Regietheatermensch mal auf die Idee käme, Shakespeares Cäsar von einer Frau spielen zu lassen, dann müßte es diese sein. Jedes Wort ein herrschaftlicher Akt, es spricht die Welt-Kaiserin im lächerlichen Ballonkleid und wir dürfen sagen, wir sind undsoweiter.
    »Rumsfelds neues Europa ist von Zombies und Krankheiten aufgefressen. Das alte hält besser stand«, sagte Cordula, und dann was über Chiracs seinerzeitige Vetodrohungen gegen den EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens, das Andy schlecht hörte, ferner einiges betreffend irgendeinen St. Malo-Vertrag zwischen England und Frankreich, ein bißchen Spott über Tony Blair, und das alles, wie Andy erst bemerkte, als er dem Inhalt aufgrund der lauter werdenden Musik und Sarastros von gutem Willen überschäumender Stimmausschüttung nicht mehr folgen konnte, in einem für Cordula ganz ungewohnten Tonfall: gurrend, werbend.
    Und dann doch wieder ironisch, obenhin: »You know, your majesty, just forget the entire Euro-Zone for once. Screw them.« Schmeichelei konnte man das kaum nennen, geschweige Kratzfüßigkeit. Was war’s dann?
    Später, in der Pause, bei ausgesucht leichten, kohlenhydratarmen Häppchen und leicht herbem Prosecco, fand er es heraus. Andy stand weit genug von Cordula und der Schicksalslenkerin von Milliarden Menschen weg, um nicht mehr zu hören, sondern endlich zu sehen, was zwischen ihnen vorging. Er hätte sich fast am Lachsbrötchen verschluckt, als er es begriff: Cordula flirtete, balzte, und gar nicht mal ungeschickt. Sie war also in diese alte Streitaxt moderat progressiver Politik verschossen – ein komischer Anblick zwar, aber doch einer, der Andy immer stärker einleuchtete, je länger er dabei zusah. Wie wenig griff der Zirkus rund um sie die Präsidentin an, wie intakt blieb ihre Würde, selbst wenn sie mal wieder