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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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versucht, unser Ding zu stabilisieren, haben alles auf Kernaktivitäten in den verschiedenen Unternehmensbereichen runterfahren wollen, Stichwort ›entrenchment‹, um nur irgendwie den Erdrutsch von 2001 zu überleben – ich meine, vergiß das bitte nicht, damit keinesfalls die dumme WTC -Schweinerei, sondern den Zusammenbruch des sogenannten neuen Marktes. Ich meine Enron, ich meine Worldcom. Panik. Feeding Frenzy. Konzerne wurden in einer Tour aufgelöst, umgebildet, neu geschaffen, absolute Kop flos igkeit auf der Suche nach neuen Wertschöpfungswegen, während die rasende Verelendung in den abhängigen Ländern, die nach den Metropolen greifende Pestilenz des heraufdämmernden Zombismus und die …«
    »Abhängige Länder …«, summte Valerie träumerisch.
    »Brasilien, Mexico, Argentinien, Indonesien, Südkorea, Türkei, Indien, Thailand, Polen, Philippinen … nenne mir«, sagte Cordula zornig, »irgendeinen Großschuldner der imperialistischen Kernstaaten zur Zeit der Jahrtausendwende, und ich nenne dir ein Krisengebiet, eine Brutstätte des Terrorismus in allen Farben, Quelle von verrückten Nationalismen, blutrünstigem Aberglauben, untoten Bürgerkriegen … Die ganze Kundschaft und die gesamte Belegschaft wurden verrückt. Was da passiert ist, hätte den Jeannes und Carls dieser Welt eigentlich dringend etwas verraten müssen, darüber, was die Uhr geschlagen hatte.«
    »Tat es das nicht?«
    »Das tat es schon. Längst. Aber es fiel ihnen halt keine salvierende Reaktion drauf ein.« Cordula lachte, ein bißchen Husten war dem Kichern untermischt, mehr verschluckt als krank allerdings. Andy zuckte die Schultern, nannte den dritten und letzten Punkt: »Linke Klageweiber?«
    »Hör zu«, sagte Cordula Späth etwas lauter als bisher und beugte sich nach vorn, »ich habe, als Bush, Cheney und Rumsfeld damit beschäftigt waren, die US-Politik von einigermaßen vernünftiger eiserner Faust und Weltordnerei auf schamloses Plündern und Rette-sich-wer-den-Längsten-hat umzustellen, eine führende Vertreterin der amerikanischen Restlinken getroffen, die der Meinung war, das damals aktuelle Weltböse habe im Grunde mit Thomas Jefferson begonnen, weil der Sklaven besessen hat und die Indianer nicht mochte. Diese Leute, diese Linken … sie waren entzückend: kleine unschuldige beleidigte Babys, die das Paradies nicht mal für sich, sondern vor allem für irgendwelche obskuren anderen Opfer des Bestehenden wollten, wenn’s geht heute nachmittag, aber nichts dafür tun. Feenstaub für jedermann, come on, laßt uns die historischen Bedingungen ignorieren, unter denen wir hier gerade so schön verblöden, laßt uns Kerzchen anzünden für die Verarschten und Ausgebluteten, die mit uns sonst nichts weiter zu tun haben, als daß wir sie erlösen wollen, laßt uns ganz viel davon reden, wie die ›westliche Kultur‹ die ›anderen Kulturen‹ unterdrückt und ausbeutet, die irgendwie unschuldiger, erdnaher, niedlicher sind, von so ein bißchen Klitorisrausschneiden, Steinigen und Frauen-in-den-Sack-Stecken mal abgesehen. Mit Sitting Bull, Geronimo und den Taliban gegen Thomas Jefferson, so stellten die sich das vor.«
    »Das war also die damalige Linke«, resümierte Andreas, der gern von was anderem geredet hätte.
    »Linke? Stammtisch Universität: diffuses Winseln über ›den Kapitalismus‹, in dem sie noch nicht mal angekommen waren, spürhundhaftes Ausfindigmachen von äh … Sexismus, Rassismus, Ismus in den Pro dukten der Unterhaltungs- und Kulturindustrie, ein leierndes, gebetsmühlenhaftes Anprangern. Und nicht ein Satz, nicht eine Silbe, nicht ein Rülpser, der den Geschäften von Exxon-Mobil, Wal-Mart, Disney, Sony, Dow Chemicals, Coca-Cola, Merck, Novartis, AT&T, General Electric, Allianz oder Fujitsu effektiv reingeredet hätte. Kein Hauch, kein Lüftchen. Nur ›Kritik‹, oh je.«
    Sie sprach es wie »Krretteck« aus, Andy notierte sich im Kopf, das Wort ohne Vokale zu schreiben, wenn er es mal in so einem Sinn benutzen würde, »Krtk«, und als Adjektiv dazu »krtsch«, so knirschte und knarrte das.
    Der Whisky war bitter und köstlich. Andy fragte: »Und wieso hat man …? Weshalb ähm …?«
    »Sie haben jede Tugend verketzert, die eine effektive linke Bewegung seit der Französischen Revolution gebraucht hat wie die Luft zum At­ men: Disziplin, Klarheit, Verantwortung, Vernunft, das war alles ›rechts‹, ›phallogozentrisch‹, ›wertfetischistisch‹, am besten gleich der halbe

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