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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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gebeugt, in weiten leinenen Sachen, wie ein ägyptischer Großgrundbesitzer, hat das Pfeifchen im Mund, mit dem wir ihn jetzt öfter sehen, seit dem Zwischenfall am Fluß: langstielig, ein Tabaksbehälter hängt blütenkelchgerundet vorm Kinn, es schmaucht beständig.
    »Blättere darin, wenn es dir gefällt.« Ich blättere artig und sehe Kreisschnitte und Drachenkreuze, hineingedruckt in dieses floride, grazil organische Skript, das man von rechts nach links lesen müßte, wenn man könnte. Die Schweinehaut liegt fast körperwarm in den Händen. Skriba erklärt: »Das sind die ›Elemente‹ des Euklid, eine Ausgabe aus dem späten sechzehnten Jahrhundert – wir schulden den Muslimen ewigen Dank dafür, daß sie diese Sachen während der christlichen europäischen Finsternis aufbewahrt haben. Kitab tahrir aswal liEuclidis min ta’lif khubat Nasr al-Din al-Tusi, das heißt auf lateinisch: Euclidis elementorum geometricorum libri tredecim, et cetera et cetera … nicht wirklich eine arabische Neuübersetzung, vielmehr, nun, eine Art anthologisierende Edition auf der Grundlage älterer arabischer Fassungen, angefertigt von Abu Ja’far Muhammad ibn Muhammad ibn al-Hasan Nasir al-Din al-Tusi, den sie kurz al-Tusi nannten. Er lebte von 1201 bis 1274. Das Schönste ist, mein Sohn: Du wirst dich an all diese Einzelheiten unfehlbar erinnern, Robert, wenn du dich nur erst an den Rechner setzt, um sie aufzuschreiben, alle Titel jener Bücher, die dein Blick auch nur gestreift hat.«
    »Hadschi Halef Omar Ben David Hilbert Ibn Adolfs Urgroßmutter mit Dottersack am Arsch. Ist notiert. Ein sehr schönes Buch, faßt sich an wie lebendig.«
    »Zwei Florentiner Manuskripte gibt es noch, das eine hältst du in der Hand.«
    »Entschuldige die vulgäre Tauschwertneugier: Was ist so was wert?«
    Skriba bedeutet mir mit einer Geste, ich solle das Buch zurückstellen, dann winkt er mich zu sich und sagt: »Solange der Totentanz anhält? Gar nichts. Keinen Pfifferling, wie die Pilzfreunde sagen, heh. Vor dem Weltuntergang allerdings hat ein Freund es für fünfzigtausend Euro auf einer Auktion in London ersteigert. Aber nun komm nur, komm hier herein, in mein Brummstübchen. Ich stehe nicht gern auf dem Gang herum – die Lamellen des Luftschachts, siehst du sie? Die suggerieren mir immer, daß es hier zieht. Ostwind. Freilich, es kann nicht sein, ich würde eine derartige Zirkulation auch nicht zulassen, allein schon der Bücher wegen. Ich habe nicht vor, sie in Folie einzuschweißen.«
    Ich folge ihm.
    Der Raum ist groß – das Planschbecken im Freibad der Kleinstadt, aus der ich komme, fällt mir ein. Hier könnten fünfzehn kleine Kinder toben. In die rückwärtige Wand sind zwei flache, weißlackierte metallische Türen eingelassen, mit eisernen Schlössern und schwarzen Klinken, zwischen ihnen steht Kram auf einem Regalbord – Phiolen, ein Terrarium, Einweckgläser, mehrere schwarze Holzkästchen.
    Ich schaue aus den Augenwinkeln zum Alten in seinem Leinenzeug, jetzt kommt er mir vor wie Ernest Thesiger, der irre Wissenschaftler in James Whales »Bride of Frankenstein«: schlank, fast eingefallen, reptiloid. Wache, scharfe Augen. Ich senke verlegen den Blick, auf dem Boden liegt ein schwerer Teppich – kein Teppichboden, alles in einem Stück, so eine große Knüpfarbeit habe ich noch nie gesehen.
    Webwelt, Wirbel, Arabeske, aber weder irischkeltisch noch echt arabisch, sondern malignes verschlungenes Gewürm, silbrig, scharlachrot, blau, waldgrün und dottergelb. Sehr schrill, erinnert an eine verpelzte Computergraphik in Wolle.
    Bis auf das Regal zwischen den Türen sind die Wände schmucklos, dafür steht in der Mitte des Raumes ein langer Onyxtisch und glänzt kubrickschwarz vor sich hin, etwas höher als die Knie eines Erwachsenen. Rings um diesen stehen bequeme nachtblau bespannte Sessel, in denen man, wenn man nicht allzu übergewichtig und breit ist, zwangsläufig tief einsinkt, schon der Blick will drin abtauchen, sich aufsaugen lassen. Auf dem Tisch liegt vor einem der Sessel ein wenig Papier: ein Dutzend Blätter, beschriftet mit etwas, das ich vom Eingang her, wo ich noch immer zögernd stehe, nicht genau erkennen kann.
    Schaltdiagramme? Kybernetik, Radiotechnik, selbstgebastelte ­Alarm­anlagen für die Bundeslade? »Was interessiert dich denn am meisten, Lieber: Die Notizen, an denen ich gesessen bin, das Regal und die Sachen drauf, der Teppich, oder doch, was hinter den beiden Türen ist?«
    »Was soll das

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