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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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sein, eine neue Gameshow?«
    Ich betrachte die Lampe, in UFO -Form, die etwa zwanzig Zentimeter von der doch recht hohen Decke hinunterhängt: zweieinhalb Meter Raumhöhe, kann das sein? So tief hatten sie doch nicht gegraben? Vor einem der Sessel bleibe ich stehen und sehe den schweigenden Chef so ruhig an, wie ich’s vermag. »Die Türen sind kein großes Rätsel – ein Klo hinter der einen, ein Schlafzimmerchen hinter der anderen, nehme ich an, vielleicht ein Schreibtisch mit Rechner und tollen Anschlüssen an irgendeine drahtlose Weltkonnexionsmaschine. Der Teppich – gut, die silbernen unter den Fasern leuchten schon sehr hell, verändern wohl auch ihre Farbe, wenn man den Teppich betritt – jetzt glühen sie gelb, beeindruckend, ich geb’s zu.«
    »In dem Lokal, das ich mir in Berlin ein Weilchen zu betreiben erlaubt habe, hatten wir einen Boden, der diesen Effekt noch vorteilhafter auszunutzen erlaubte. Es sah aus wie just im Moment des Hin­sehens erkaltende Lavakruste.«
    »Toll. Deine Zettelchen da, ein neues Bewässerungssystem? Sieht zu technisch aus, als daß ich mir’s jetzt erklären lassen wollen würde mö­gen.«
    »Also das Regalbrett?«
    »Hmpf.«
    Ich folge seiner einladenden Geste, gehe zur Wand. Was da auf dem Regal liegt, kommt mir immerhin irdischer, anschaulicher vor als die restlichen Optionen. Also inspizierte ich die Sachen, wie man in gutbürgerlichen Wohnungen Nippes und Souvenirs beguckt: nicht, um was über die Eigentümer rauszukriegen, sondern um das Hirn blank zu wischen, es sachte mit Informationen, die man nicht speichern muß, zu überschwemmen, mit warmem Reizwind leer zu pusten für die Small-Talk-Exzesse, denen man sich gleich hingeben wird.
    Was hatte er da arrangiert?
    Ein Dachziegelstück aus Indien mit eingebranntem Hakenkreuz. Eine Schriftrolle, gelb wie alte Zigarettenzähne. Ein paar Edelsteine, als Tränentau aufs Brett getropft: Quarzsplitter, Saphirkrümel, Amethyst. Eine alte Pistole, vielleicht aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein Brief, im Umschlag, an ein Postfach in Berlin, Absender: A.G., wohl aus Frankreich, der Briefmarke nach. Ein Hubschrauberspielzeug aus Coladosenblech. Ich nehme es in die Hand, drehe es.
    »Kriegsspielzeug«, sagt Skriba, »und zwar im selten gebrauchten buchstäblichen Wortsinn: Spielzeug, das der Krieg möglich gemacht hat. Es ist aus Vietnam, die Kinder dort haben es für die Touristen angefertigt. Ich hab’s geschenkt bekommen«, sein Atem geht schwerer, als ob er, während er mit mir spricht, eine Erinnerung aus einem tiefen Brunnen hochkurbeln muß, »von einem Mann, der in Vietnam aufgewachsen ist, später in Deutschland gearbeitet hat, gelehrt, in der DDR , um genau …«
    »Ich will das nicht wissen«, sage ich und überrasche mich selbst damit. Ich schaue ihm herausfordernd in sein altes, kummervoll langes Gesicht, so freundlich, so hö flich , ein bißchen englisch sieht es aus, und die Augen: sind dunkel. Er nickt. Ich lege den Hubschrauber neben das letzte noch nicht betrachtete Stück in seiner kleinen Ausstellung: ein Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit, zwei Fäuste hoch, ungefähr CD -Durchmesser, und darin schwimmen zahnweiße Bällchen mit dunklen Kreisen drauf. »Sind das … um Gottes willen …«, ich weiche einen Schritt zurück. Der Teppich knistert.
    »Augen in Honig«, nickt Skriba, »für immer. Aufbewahrt.«
    »Das ist krank, Alter.«
    Ich muß fast lachen.
    »Gewiß. Ich war krank«, gibt er mir gleichmütig recht, »sehr lange, sehr schwer krank. Das ist mir geschehen«, er lächelt. Wenn Hiob während seiner übelsten Zeiten je gelächelt hat, dann so. »Als ich mein Hauptwerk vollendet hatte – in den zwanziger Jahren, nach der Gründung des Lehrhauses. Amyotrophe Lateralsklerose.«
    »Die Krankheit, die auch Stephen Hawking …«
    »Ja. Fortschreitende Nervenlähmung. Nicht schön für jemanden, der das Schreiben aufgegeben hat und nur noch mündlich lehren will, entdecken zu müssen, daß er unversehens tatsächlich nicht mehr schreiben könnte, selbst wenn er wollte, und bald auch nicht mehr sprechen können wird. Die Auferstehung des Fleisches hat mich davon befreit, wie von vielem andern. Und mir eine neue Last aufgebürdet.«
    Er blinzelt zweifelnd, nickt wohlwollend, als wäre ich besagte Last.
    »Wie alt bist du denn? Wann bist du … die zwanziger Jahre, das sind die im zwanzigsten Jahrhundert, oder?«
    »Ich bin am fünfundzwanzigsten Dezember 1886 zu Kassel geboren, am zehnten Dezember

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